Werbung
Werbung
Werbung

Ein aufregendes Potpourri an exzellenten bildnerischen Beispielen der Auseinandersetzung mit dem Thema Mutter zeigt das Grazer Kulturzentrum bei den Minoriten mit der Schau "Mutter".

Kaum ein anderes Sujet innerhalb der europäischen Kunstgeschichte der letzten zwei Jahrtausende erfreut sich dermaßen eines Prototyps wie jenes der Mutter. Maria, die Madonna, war unüberbietbare Vorgabe, sorgfältig gepflegt von unzähligen Künstlergenerationen. Als es Caravaggio vor ziemlich genau vierhundert Jahren wagte, seine "Rosenkranzmadonna" von Menschen mit schmutzigen Füßen verehren zu lassen, brachte ihm so viel Realismus einige Schwierigkeiten ein. Mutter Madonna war längst theologisch aller Erdhaftigkeit enthoben, nur ein wenig von den Darstellungen der Maria lactans, der stillenden Madonna, unterwandert. Zwar entwickelten im 19. Jahrhundert Maler auch individuelle Darstellungsformen der Madonna, die Nationalsozialisten verbauten dann aber für lange Zeit einen unverkrampften Zugang zum Mutterbild, indem sie die Mutter zur Gebärmaschine hochstilisierten. War damit die Mutterdarstellung für die bildende Kunst erledigt?

Lange Kunstgeschichte

Die aktuelle Präsentation im Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz tritt mit einem aufregenden Potpourri an exzellenten bildnerischen Beispielen der Auseinandersetzung mit dem Thema Mutter den Beweis des Gegenteils an. Den Einstieg im chronologischen Sinn trägt VALIE EXPORT mit ihrer Fotoarbeit "Erwartung" aus dem Jahr 1976 bei. Die Künstlerin posiert vor Sandro Botticellis "Madonna mit dem Granatapfel", 1487 entstanden, eine zeitgenössische junge Frau, die aber kein Kind mehr in den Armen hält, sondern einen Staubsauger. In dieser und vielen anderen Exponaten der Schau wird die Tradition mit ihren hervorragenden Bildfindungen weitergetragen, allerdings mit entscheidenden Ergänzungen oder Überformungen für die Gegenwart fruchtbar gemacht.

So etwa auf drei Fotoarbeiten von El?zbieta Jab/lo´nska, die die Künstlerin mit ihrem Sohn im häuslichen Ambiente zeigt, wofür sie jeweils in die Superkräfte verleihenden Kostüme von Batman, Spiderman und Superman schlüpfte. Ewa Harabasz übernimmt Dokumentarfotografien aus Kriegs- oder Katastrophenreportagen und überträgt dieses Material in die Tradition der orthodoxen Ikonenmalerei, sodass ausgegrenzte Menschen nicht mehr zu einem Eye-Catcher verkommen, sondern durch die erfahrene Sakralisierung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Alec Soth stellt mit "Rebecca" eine junge Mutter in einer trostlosen Ecke des Hochzeitsreiseparadieses Niagara vor, deren aussichtsloser Blick in scharfem Kontrast zum seelenruhig schlafenden Kind in ihrem Arm steht.

Anlehnungen an die klassische Madonna-Kind-Figuration finden sich auch bei den Arbeiten von Jitka Teubalová, die auf ihren Fotografien die in Lateinamerika an den unmöglichsten Orten vorfindbaren Marienbildchen zu inszenierten Porträts in buntem Kunstlicht hochstilisiert. Tobias Trutwin übernimmt überhaupt Vorlagen aus der Kunstgeschichte, wie etwa Jean Fouquets "Jungfrau mit Kind" aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, und passt sein Gesicht mithilfe des Morphings dermaßen auf alle Personen ein, dass daraus ein mehrfaches Selbstporträt entsteht. Daphna Weinstein schneidet ihre Kreationen direkt ins Papier ein und präsentiert sie in Einmachgläsern - es scheint für diese Frauenbildnisse kein Hinein- und kein Herauskommen mehr zu geben. Julia Krahn trägt entweder nur mehr ein leeres Tuch ohne Kind auf dem Arm oder sie wendet den Blick zurück, indem sie nun als erwachsene Frau ihre alte Mutter ebenso trägt, wie sie als Kind von ihr getragen worden ist.

Rolle der Frau im islamischen Kontext

Beinahe beiläufig liefert Siegfried Anzinger eine großartige Weiterführung der Tradition, indem er sich zum Beispiel nur darum kümmert, wie es aussieht, wenn eine große Hand auf einer kleinen Schulter liegt und wenn sich daraus überzeugende Madonnenversionen ergeben. Marlene Dumas zeigt Mutter und Kind als Schlafende mit scharfer Diskrepanz zwischen der Angespanntheit der Mutter und der Gelassenheit des Kindes. Shirin Neshat thematisiert die Rolle der Frau im islamischen Kontext, indem sie eine völlig verhüllte Frau mit einem nackten Jungen zeigt, der mit persischen Ornamenten bemalt ist.

Manfred Erjautz lässt das Kind an einem Bergsteigerseil zwischen den Beinen der Schaufensterpuppenmutter baumeln - die Mutterbindung verleiht dem Kind auch in dieser unangenehmen Position Sicherheit. Judith Zillich hat sich und ihr Kind während der Stillzeit auf kleinformatigen Ölgemälden porträtiert und gewährt damit einen berührenden Einblick in diese zärtlichen Begegnungen. Ganz anders wächst sich diese Zärtlichkeit auf Ulrike Rosenbachs "Mutterliebe" aus, wenn sich in ihrem Video die Kussspuren des Lippenstifts auf dem Gesicht der Tochter zu optischen Misshandlungsstellen auswachsen. Die Videoinstallation von Ann-Sofi Sidén dokumentiert in präzisen, aber lapidaren Bildern, wie eine Mutter ihr Kind in der Babyklappe eines Krankenhauses ablegt, und erzeugt damit Hochspannung. Trotz mancher Beklemmung eine hoffnungsvolle Ausstellung mit lauter starken Müttern.

Mutter. Neue Bilder in zeitgenössischer Kunst

Kulturzentrum bei den Minoriten

Mariahilferplatz 3/I, 8020 Graz

bis 12. 12., Di-Fr 10-17, Sa, So 11-16 Uhr

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung