Psychogramm einer Frauengestalt

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Schnitzler in Reichenau - eine Gratwanderung zwischen Lesung und Spiel.

Reichenau an der Rax wird im heurigen Theatersommer von Arthur Schnitzler dominiert.Helga David hat im historisch bedeutungsvollen Thalhof (Schnitzler verbrachte hier seine Sommer) zwei szenische Lesungen eingerichtet: "Therese" (Premiere: 8. August) und "Eine Liebe" (Premiere: 16. August). David erschließt Schnitzlers Prosa für die Bühne und erzählt die Stationen eines Frauenlebens im Kontext der politischen Umbrüche und der Etablierung der Ersten Republik.

Schnitzlers Roman "Therese" liest sich als Psychogramm eines typischen Frauenschicksals einer orientierungslosen Zeit, der die alten Werte verloren gegangen sind und die alternative Lebensräume sucht. Er stellt auch die grundsätzliche Frage nach den Perspektiven eines selbstständigen Frauenlebens.

Die Protagonistin stammt aus einer kleinadeligen Familie, die nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie ihre Grundlage verliert. Therese entscheidet sich für ein selbstbestimmtes Leben, fern den konventionell-bürgerlichen Begriffen von Ehe und Familie und verdingt sich als Gouvernante und Prostituierte. Trotz zahlreicher Liebschaften bleibt sie bindungslos, auf sich allein gestellt mit ihrem aus einer glücklosen Affäre stammenden Sohn Franz. Theresens schwierige Lebenssituation und die eigene innere Vereinsamung machen eine liebevolle Erziehung unmöglich. Franz - ganz Spiegel einer zerrütteten Gesellschaft - wird zum Verbrecher, der am Ende tödliche Gewalt gegen die eigene Mutter anwendet. Erst am Sterbebett werden Therese die inneren Zusammenhänge sichtbar: eigene Schuld, aber auch die Folgen einer patriarchalischen Gesellschaft.

Helga David hat eine feine Gratwanderung zwischen Lesung und Spiel inszeniert: Maresa Hörbiger (als Titelfigur) und Simon Hatzl (in zahlreichen Männerrollen) präsentieren diesen klug verdichteteten Text zwischen unmittelbarem Dialog und Kommentar.

Hatzl konturiert seine Rollen präzise und etabliert jeweils neue interessante Männerstudien. Maresa Hörbiger gelingt es, im minimalistisch eingerichteten Ballsaal durch ihr fein variierendes Spiel Theresens innere Befindlichkeiten im Kontext eines Zeitgefühls transparent zu machen. Eine erfrischende Charakterstudie, die nichts an Gültigkeit verloren hat.

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