Puccini darf leibhaftig die Hände ringen

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Dreißig Jahre kam das Grazer Musiktheater ohne Giacomo Puccinis "Manon Lescaut“ aus. Stefan Herheim hat sie zur Saisoneröffnung neu imaginiert.

Der norwegische Regie-Tausendsassa, der Graz schon eine "Carmen“ im Museum und eine "Rusalka“ auf dem Brüsseler Straßenstrich, der Wiener Volksoper eine vom Publikum gelynchte "Madama Butterfly“ und den Salzburger Festspielen eine Gag-Orgie als "Entführung aus dem Serail“ beschert hat, kann offenbar am immensen Schatz der Operngeschichte nur kreativ werden, wenn er in die Dramaturgie, die Komposition, den Weltliteraturstatus in freier postmoderner Beliebigkeit eingreifen kann. Dass ihm dabei Sensationelles wie der Bayreuther "Parsifal“ gelingt, hebt ihn aus der Masse verrannter Selbstinszenierer.

Trügerische Freiheit

Also erlebt man in Graz (und später im März 2013 beim Ko-produktionsparter Dresden) Stefan Herheims Vision von der Unerreichbarkeit der Freiheit, dem Scheitern im revolutionären(?) Frankreich wie dem trügerischen Bild eines Freiheitsstatuen-Amerika. Uninteressant, wie und warum ein adeliger Theologiestudent namens Des Grieux und eine fürs Kloster bestimmte Bürgerstochter füreinander in glühender Leidenschaft entbrennen. Unwichtig, dass Puccinis Partitur von chromatischen Kühnheiten, expressiver Konfliktrhythmik und innovativen Sequenzketten lebt. Unglaublich, dass da Sinnlichkeit, Erotik, ja, Rausch die Menschen so völlig aus der Bahn werfen. Da rotiert die Drehbühne mit Skulpturteilen der Freiheitsstatue, da reißt sich ein stummes Giacomo-Puccini-Double als Kontrollfreak schmusend und dirigierend Arme und Beine aus. Nur - die große sexuelle Getriebenheit, die dramatische Leidenschaft hat zweieinhalb Stunden Pause.

Der sängerfreundlich disponierende Analytiker Michael Boder am Dirigentenpult hilft den Grazer Philharmonikern und den Vokalisten: Streicher und Holz brillieren, dass es aus dem Orchestergraben schöner funkelt als vom Sternenhimmel der Bühnenbildnerin Heike Scheele. Das zum Vorspiel umfunktionierte Intermezzo sinfonico legt einen Präzisionsteppich aus, auf dem die Gesangssolisten wunderbar in ihre Liebes- und Reichtumsträume abheben können.

Gal James, Haus-Lyrische aus Israel, ist jede Phrase eine glaubhafte Manon, im ausladenden Dekolleté und in der kleidsamen Krinoline des 18. Jahrhunderts wie im Reisekleid des 19. Jahrhunderts (farblich hochelegant entworfen von Gesine Völlm) in New Orleans. Ihr mädchenhafter Sehnsuchtston, ihre überraschend firme, unforcierte Attacke sind ideal. Kein falscher Drücker, kein falscher Ton - ein erregendes Hör-erlebnis.

Nicht weniger spannend, wie der argentinische Tenor Gaston Rivero die sechs ariosen Trümmer des Des Grieux stemmt, ohne zu pressen. Manchmals fast noch belcantistisch-lyrisch phrasierend, kämpft er mit viel Überzeugungskraft gegen die Schemen der Aufführungsgeschichte von Francesco Merli bis Jussi Bjoerling an.Das von ihm in der Premiere Erreichte ist hörenswert.

Des Meisters Zigaretten

Nicht ganz so prächtig bei Stimme erweist sich der spanische Bariton Javier Franco als Lescaut. Da wirkt schnell die Höhe eng, die Atmung behindert. Exzellent schlagen sich die Grazer Ensemblemitglieder Wilfried Zelinka als nur scheinbar nobler Geronte, Konstantin Sfiris als Wirt im ersten und als Schiffskapitän im dritten Akt und subtil gestaltend Dshamilja Kaiser als Madrigalistin. Pantomimisch täuschend raucht Janos Mischuretz Giacomo Puccinis Zigaretten.

Weitere Termine

12., 17., 21., 27. Oktober, 4., 8., 18., 24., 30. November

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