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Bestechender Steve Reich-Abend beim Musikfest "Psalm 2003" in Graz.

Erfolgsrezept der styriarte war von Anfang an eine auf ein zentrales Thema ausgerichtete Programmkonzeption. Dementsprechend folgt das von Intendant Mathis Huber rund um das Osterfest konzipierte Musikfest "Psalm", Koproduktion von styriarte und Graz 2003, einer Dramaturgie, die das gesungene Gebet, den Psalm, als "gemeinsame Quelle der Musik im Judentum, im Christentum und im Islam" ins Zentrum stellt.

Wie sehr sich gerade bei einer solchen Konzeption veranstalterischer Mut zum Zeitgenössischen lohnt, zeigte der Abend mit Minimal Music: Wer sich auf das Hör-Abenteuer einließ, konnte sich der gewaltigen Wirkung von Drumming, einem Anfang der siebziger Jahre komponierten Hauptwerk des Amerikaners Steve Reich, wohl kaum entziehen: pulsierende Klänge, allmählich zu größerem Volumen anwachsend und wieder verebbend; ein rhythmisches Muster, variiert wiederholt, das, von den Bongos zu Marimba und Glockenspiel wandernd, unterschiedlichste Klangwirkungen hervorruft. Geschlossenen Auges vermeinte man afrikanische Buschtrommeln, hämmernde Maschinengeräusche, kristallene Naturvisionen, Raunen, Zischen und Gewisper bis hin zum Schreien und Toben von Menschenmassen zu vernehmen. Tosender Applaus nach mehr als einer Stunde ununterbrochener Repetition.

Ebenso eindrucksvoll die zweite Hälfte des Abends mit Tehillim, einer Vertonung von Psalmversen in hebräischer Sprache, in der Reich die heute vergessene Tradition, den Verlauf des Gesanges aus dem hebräischen Schriftbild abzuleiten, wiederzubeleben suchte. Von Studio Percussion Graz (Leitung: Günter Meinhart) mit merkbarer Spielfreude realisiert, verfehlte der Lobpreis seine Wirkung nicht: Statisch orgelartige Klänge und ekstatische Freude wurden mit bestechender vokaler wie instrumentaler Präzision und Lebendigkeit (Dirigent: Michael Brandstätter, Solistinnen: Ursula Langmayr, Alisa Pearson, Dagmar Hödl, Anna Pammer) präsentiert. Wieder gelang die Vermittlung quasi-mystischer Erfahrung durch "Aufhebung der Zeit".

2003, da die Vision eines "Kampfes der Kulturen" realer erscheint als je zuvor, ist die Programmatik des Festivals, das zum besseren gegenseitigen Verständnis der Religionen beitragen will, nicht nur von kulturhistorischem Interesse. Dieser Aktualität zum Trotz birgt die Mixtur von religiöser Feier und Konzert, als die sich das "Musikfest" präsentiert, auch Gefahren in sich: unter dem Deckmantel scheinbarer Annäherung einem oberflächlichen Multi-Kulti-Trend zuzuarbeiten, der religiöse Auseinandersetzung zum kulturellen Verkaufsschlager degradiert. Um tragfähiges gegenseitiges Verständnis zu erreichen, ist es unverzichtbar, auch die Grenzen möglicher Annäherung zu thematisieren. Und bei allem wohlgemeinten Enthusiasmus des miteinander Feierns bleibt die Frage, ob - zumal im Lichte der Passion - das dunkelste Kapitel der gemeinsamen Geschichte von Juden- und Christentum ausgeblendet bleiben kann. Gerade die Akzeptanz des Unverstehbaren und Unfassbaren ist Voraussetzung für Toleranz und eine der wichtigsten Botschaften, die Kunst heute vermitteln kann. Ob auch dafür Raum bleibt, wird für das nachhaltige Gelingen des Festivals ausschlaggebend sein.

Nächste Veranstaltungen:

5.4. Passio von M. Radulescu (UA)

12. 4. Laudes Palmarum (Mysterienspiel)

13. 4. Musik und Reflexionen zum Palmsonntag (Predigt Günther Nenning)

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