Punktgenaue Barock-Collage

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Nico – das ist die Regisseurin Nicola Hümpel, die es trotz ihres Gastspiels mit „Kain, wenn & Aber“ bei den Wiener Festwochen 2006 in Österreich noch zu entdecken gilt. Mit ihrem Lebensgefährten Oliver Proske, der seine Fähigkeiten als Industriedesigner und Installationskünstler ins Bühnenbild einbringt, gründete sie vor elf Jahren das Ensemble „Nico and the Navigators“. Mit dieser Truppe verwirklicht sie ihre auf Improvisation, Interpretation und interaktiven Assoziationserfahren basierende Theatersprache, die Fachleute und Publikum gleichermaßen fasziniert und die sie inzwischen an bedeutenden Institutionen lehrt.

„Anaesthesia“ ist eine historisch fundiert unterfütterte, ästhetisch punktgenaue Barock-Collage, übersetzt in ein federleicht-hintersinniges Narkotikum aus Bildern, Bewegung, Klang, Licht, Philosophie, Zitaten und Heiterkeit. Die Kultregisseurin und ihre musik-, tanz- und schauspielerprobten Navigators durchstreifen Arkadien auf der Spurensuche dessen, was der Taifun der Geschichte für uns übriggelassen hat: „Left for a while, soon will be back“.

Markus Kraler und Andreas Schett haben 32 Arien, Szenen und Instrumentalstücke aus 24 Bühnenwerken Georg Friedrich Händels zu einem Pasticcio montiert, und es ist erstaunlich, was der typische Sound dieser Gruppe mit der Musik anstellt. Rhythmisch und melodisch bleiben vor allem die Arien weitgehend unberührt, aber Instrumentalstücke werden aufgebrochen, jazzen plötzlich, härten sich im Grundduktus, offenbaren im Tänzerischen durch artfremde Instrumente mögliche Quellen von Händels Inspiration. Ereignishaft, wie sich das Saxophon in Melismen mischt, Hackbrett und Akkordeon eine neue Klangwelt öffnen, die Zärtlichkeit der Tuba, die Qualität der Geigen. Die Musiker sitzen hinterm (manchmal gelüfteten) Schleiervorhang hoch auf der Hinterbühne, und was von dort kommt, ist atemberaubend sensitiv bis entlarvend fetzig.

Davor Felle, Federn, Erdfarben, ein britischer Dandy mit der Kopfbedeckung eines Händel-Gemäldes, der durch die Bilder wandert, Gedichte und feine Texte rezitiert: „Power is like powder, when the wind changes.“ Fingerspiel über Sopranperle, durch natürliche Empfindung gestörte kalkulierte Affekte, die Entdeckung des Stofflichen und die Intensität der Körpersprache, rasende Gewalten und die Zeremonie der Melancholie. Integriert die Zartheit der Sänger, von Sopranistin Theresa Dlouhy, Countertenor Terry Wey und Bariton Clemens Kölbl, der einmal kopfüber ins Bühnenportal hängt: Sie singen ihre Arien hingebungsvoll.

Eine barocke Personage erprobt in lockeren Szenen hochästhetisch und hinreißend sinnlich Lebensgefühl, Kunst, Poesie, Brutalität und das Staunen einer Epoche.

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