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Das laufende Jahr ist mit Jubiläen und runden Gedenktagen so reich bedacht, dass man sich an weniger prominente Termine erst auf Umwegen herantastet. Wie es mir mit Karl Kraus erging. Am 12. Juni 1936, also vor 70 Jahren, ist er gestorben. Aber der Literaturkalender weist noch ein anderes bemerkenswertes Datum aus: 1906 hat der Schriftsteller den Aphorismus als ihm gemäße Ausdrucksform entdeckt. Kraus, damals 32 Jahre alt, hatte bereits Kritiken, Satiren, Essays und Gedichte geschrieben, war als Redakteur hervorgetreten und hatte Die Fackel gegründet, ehe er sich an jene literarische Königsdisziplin wagte, in der das Finden passender Ausdrücke gleich wichtig ist wie der Verzicht auf jeden verbalen Ballast. Ein Genre, in dem die schlanke Pointe alles bedeutet, war das rechte Revier für einen sprachbesessenen Autor, der nach eigenen Worten einem unfolgsamen Komma bis Leipzig nachgelaufen ist.

Aphorismen von Karl Kraus sind denn auch, bisweilen salopp zitiert, bis heute im Umlauf geblieben: Sei es über schriftstellerische Massenware ("Je größer der Stiefel, desto größer der Absatz") oder im nüchternen Urteil über Alltagsethik (",Würde' ist die konditionale Form von dem, was einer tut").

Auch mit einem kulturellen Jahresregenten von 2006 hat sich Kraus kritisch auseinander gesetzt: mit Sigmund Freud. Die Verurteilung der modernen Seelenkunde hat sich im vielleicht bekanntesten Aperçu niedergeschlagen: "Psychoanalyse ist jene Geisteskrankheit, für deren Therapie sie sich hält." Aber Angriffe auf die neue Lehre und ihren Ahnherren finden sich auch sonst zuhauf: "Psychoanalyse ist ein Racheakt, durch den die Inferiorität sich Haltung, wenn nicht Überlegenheit verschafft". - "Den Weg zurück ins Kinderland möchte ich, nach reiflicher Überlegung, doch lieber mit Jean Paul als mit S. Freud machen."

Der Autor ist Professor für Sprachwissenschaft in Salzburg.

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