Radikal und repräsentativ

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Polnische Kunst der Zwischenkriegszeit zwischen Tradition und Avantgarde.

Uns gibt es seit tausend Jahren", lautete das Motto des polnischen Pavillons bei der New Yorker Weltausstellung 1939, auf der eigentlich "Die Welt von morgen" gefragt war. Die Künstler, die den Pavillon eingerichtet hatten, kehrten nicht mehr nach Hause zurück, denn ihre Heimat war inzwischen von der Landkarte verschwunden. Eine bezeichnende Begebenheit: Die Kunst der jungen, jäh durch den Ausbruch des zweiten Weltkriegs wieder beendeten Republik Polen war zuletzt durch die Ambivalenz von nationaler Tradition und internationaler Avantgarde geprägt. Im Rahmen des Polnischen Jahres zeigt das Leopold Museum im Wiener Museumsquartier nun umfassend die polnische Kunst der Jahre 1918 bis 1939: "Der neue Staat. Zwischen Experiment und Repräsentation."

Neuer Staat - neue Kunst

In Polen, das 1795 endgültig zwischen Russland, Preußen und Österreich-Ungarn aufgeteilt worden war, hatte sich die Kunst im 19. Jahrhundert als Hüterin der nationalen Werte begriffen. Als der polnische Staat 1918 nach 123 Jahren wiedererstand, sahen sich die Künstler gezwungen, ihre Rolle neu zu überdenken. Wichtigstes Ziel aller Künstler war es, einen eigenständigen Stil zu finden, der zugleich eine Manifestation des Polnischen an sich sein sollte. Wie die Ausstellung im Leopold Museum anhand von 200 zum Teil hochinteressanten Exponaten aus den Bereichen Malerei, Skulptur, Zeichnung, Plakatkunst, Industriedesign, Fotografie und Film vor Augen führt, waren damals in Polen alle Richtungen vertreten: Kubismus, Futurismus, Konstruktivismus, Dadaismus, Surrealismus, Symbolismus, Expressionismus, L'art pour l'art, Realismus und ein rückwärtsgewandter Klassizismus. So unterschiedlich sie auch waren, in den zwanziger Jahren versuchten so gut wie alle Künstler eine Synthese zwischen den jeweiligen Modernismen und den Wurzeln der polnischen Kultur. So suchten etwa die avantgardistischen Formisten expressionistische Deformationen und kubistische Raumvorstellungen mit polnischer Volkskunst zu verbinden.

National - international

In den dreißiger Jahren schließlich verlor das Nationale für viele Künstler seinen Stellenwert und es bildeten sich zwei parallele künstlerische Welten: eine national und eine international orientierte. Die kosmopolitischen Vertreter der Gruppen Bunt, Blok, Praesens, a.r., des "Pariser Komitees", der Formisten gingen zwar in die Kunstgeschichte ein, wurden jedoch in Polen selbst abgelehnt oder mit Gleichgültigkeit gestraft. Zur fehlenden gesellschaftlichen Relevanz kam noch die Wirtschaftskrise, so dass die Avantgarde ihre Arbeiten nicht mehr verkaufen konnte. Eine Entwicklung, die der polnische Soziologe Florian Znaniecki voraussah und zu erklären wusste: "Jedes große neuzeitliche Werk übersteigt bei weitem das Verständnisvermögen nicht nur des ungebildeten Pöbels', sondern sogar eines durchschnittlich und oberflächlich ausgebildeten Publikums'."

Weil eine Ausstellung unbedingt ein Konzept braucht, liegt der Schau im Leopold Museum eine ästhetische Theorie des Künstlers, Logikers und Philosophen Leon Chwistek zugrunde, der im Rahmen des von ihm erfundenen Strefismus die Malfläche in einzelne Zonen einteilte. Zugleich pflegte dieser eindringliche und kritische Beobachter der Kultur seiner Zeit einen - wie man heute sagen würde - erweiterten Kulturbegriff, der auch Populärkultur beinhaltete. Die zweite schillernde, weit in die Zukunft weisende Figur, die man sich aus der polnischen Kunstszene der Zwischenkriegszeit merken sollte, ist der Philosoph und Künstler Stanislaw Ignacy Witkiewicz, genannt Witkacy. Er hörte 1924 auf, Kunst zu produzieren und gründete eine rein kommerziell ausgerichtete Porträtfirma - eine Entscheidung, die er als subversiven Akt bezeichnete.

Der neue Staat Polnische Kunst zwischen Experiment und Repräsentation von 1918 bis 1939

Leopold Museum Wien, bis 31. März

Mi-Mo 10-19, Fr bis 21 Uhr

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