Rächt sich der Raubzug?

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Der US-Politologe Johnson meint, daß das Hegemonie-Streben auf die USA zurückfallen wird.

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Der US-Politologe Johnson meint, daß das Hegemonie-Streben auf die USA zurückfallen wird.

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Chalmers Johnson schießt mit seinem Buch "Ein Imperium verfällt" eine moralische Breitseite gegen die Politik seines Landes ab. Er sagt voraus, Amerika und die Amerikaner würden eines Tages "unter unerwartet hereinbrechenden Katastrophen zu leiden haben, die Rückstöße der imperialistischen Eskapaden der vergangenen Jahrzehnte sind". Es fehlt ihm nicht an Beispielen, um seine These zu untermauern. Die meisten stammen aus Ostasien.

Johnson geriet nach seinem Militärdienst bei der Marine "in den Bann von Professor Levenson", eines der besten Kenner chinesischer Kultur. Da er Zugang zu Akten des japanischen Geheimdienstes bekam, schrieb er seine Dissertation über chinesische Bauern und ihre politische Entwicklung zwischen Kuomintang, Kommunisten und Japanern von 1937 bis 1945. Das brachte ihm einen Job an seiner Alma Mater ein. Bis 1992 unterrichtete er politische Wissenschaften mit den Schwerpunkten China und Japan, seither ist er ist er Präsident des "Japan Policy Research Institute".

Politisch war er lange ein bedingungsloser Anhänger der amerikanischen Weltpolitik. Das betrifft ebenso den Vietnamkrieg wie die Chinapolitik. Er war nicht immer mit den Methoden einverstanden, die Notwendigkeit hingegen war ihm klar. Das änderte sich nach dem Ende des Kalten Krieges. Er fand, daß sich die US-Politik immer mehr zu einer brutalen imperialistischen Politik wandelte, die nichts mehr mit den Grundprinzipien der Vereinigten Staaten zu tun hatte. Beispiele sind für ihn die Besetzung Okinawas, das zum Stützpunkt ausgebaut wurde, von dem aus ganz Ostasien kontrolliert wird, weiter die Beziehungen zu Korea, Süd und Nord. Die Einsetzung korrupter Diktatoren, nur scheinbar ein Vorteil für die USA, hatte ihn schon früher gestört. Damals gab es immer wieder Massaker an Zivilbevölkerungen, die von der amerikanischen Armee gedeckt wurden und allein auf der Insel Cheju mindestens 30.000 Menschenleben forderte. Als Kenner Japans und Koreas findet Johnson, daß sich die USA zu sehr an ihre militärische Machtpräsenz in diesem Raum klammern, statt alles zu tun, um die Wiedervereinigung Koreas zu erreichen.

Das wichtigste Problem für ihn sind aber die chinesisch-amerikanischen Beziehungen: "Kaum mehr als eine Woche, nachdem Clinton seinen chinesischen Zuhörern versichert hatte, die USA hätten keine geheime Strategie gegenüber China zu verfolgen, umriß Verteidigungsminister William Cohen ... eine militärische Rolle der USA in Ostasien", die den Chinesen alles Vertrauen in die Absichten der Amerikaner rauben mußte. Aber die Chinesen wissen sowieso, daß "in der Führungsebene der amerikanischen Regierung vom Weißen Haus über den Kongreß bis hin zum Pentagon ein kaum verhüllt ausgetragener Streit über die Chinapolitik" tobt. Daß es schwierig ist, gegenüber einer aufsteigenden Macht wie China die richtige Politik zu entwickeln, ist klar. Die Chinesen konnten schließlich mit ansehen, wie katastrophal es für ein Land werden kann, die amerikanischen Ratschläge zu befolgen. Tienanmen war der blutige Schlußstrich unter einer der russischen ähnlichen Entwicklung.

Russische Warnung Die Verelendung großer Teile der russischen Bevölkerung, nachdem der autoritäre Apparat vernichtet und die Wirtschaft nach den Vorgaben amerikanischer Ökonomen reformiert worden war, stehe Chinas Führung als warnendes Beispiel vor Augen. Ohne autoritäre politische Kontrolle, so denke nicht nur das Politbüro, sondern auch die Bevölkerung, "leisten die Wirtschaftsreformen nur der Entstehung neuer wirtschaftlicher Interessen und der weiteren Ausbreitung der Korruption Vorschub".

Das konnte die "Wirtschaftstheoretiker und Mitglieder des Wall Street /Finanzministeriumskomplexes", so Johnson, nicht abhalten, "einen überaus ehrgeizigen, um nicht zu sagen megalomanischen Feldzug" mit dem Ziel zu starten, "den Rest der Welt zur Übernahme der wirtschaftlichen Institutionen und Normen der Vereinigten Staaten zu bewegen". Sie zielten auf praktische Ergebnisse. Obwohl es keinen Beweis gebe, daß Washington eine auf globale Hegemonie zielende Verschwörung ausheckt, meint Johnson vorsichtig, sah es seiner Ansicht nach doch ganz so aus. Die Operation sei in zwei strategischen Phasen erfolgt. Etwa von 1992 bis 1997 führten die USA eine ideologische Kampagne für den ungehinderten Kapitalverkehr. Das sei aber nur die Vorbereitung gewesen. Ab Juli 1997 ließen sie die Tigerstaaten "die Macht des seiner Fesseln entledigten internationalen Kapitals spüren".

Der Autor geht hier nicht in die Einzelheiten. Die veröffentlichte aber der US-Ökonom Paul Krugman. Es sei eine ganz legale Operation gewesen, schrieb er im August 1997: Man nehme einen Kredit in lokaler Währung, erwerbe dafür Dollar und transferiere diese ins Ausland. Die Nachfrage nach der Fremdwährung läßt den Wert der lokalen Währung sinken. Man hat erlebt, daß er ins Bodenlose stürzte. Dann kann man mit ein paar Dollar den Kredit in der gesunkenen lokalen Währung zurückzahlen und lokale Werte einkaufen. Das alles geht ganz legal vor sich, aber nur bei völlig liberalisiertem Kapitalverkehr. Robert Rubin war übrigens in Wall Street Spezialist für solche Operationen, bevor er US-Finanzminister wurde.

Johnson nennt es "ein geradezu klassisches Beispiel für den 'Vetternwirtschaftskapitalismus'", der in Washington überhand genommen habe. Immerhin flossen nach den meisten Berechnungen etwa 200 Milliarden Dollar aus den Tigerstaaten in immer noch unbekannte Kasse. Diese Gelder sind, nach Johnson, bereits wieder zurückgeflossen. "Asia Properties", eine Immobiliengesellschaft in San Diego, wurde im April 1998 erklärtermaßen gegründet, um die "Schlußverkaufspreise für Immobilien an den wichtigsten Straßen Bangkoks auszunutzen". Nach Aussage des Asia-Properties-Vizepräsidenten erlebe Asien "den größten Vermögenstransfer in der Geschichte". Mit anderen Worten, durch die in den Keller gefallenen Preise verwandelten sich die "verdienten" 200 Milliarden bei der Rückkehr für die Investoren in ein Mehrfaches an Wert: "Kein Wunder, daß viele Ostasiaten vom ,Geier-Kapitalismus' sprechen."

"Beim APEC-Gipfel 1998 in Kuala Lumpur schließlich kam es zum Bruch ... Das Treffen endete in einem offenen Aufruhr, und Japan setzte sich an die Spitze der Länder, die zumindest für die nächste Zukunft alle weiteren Maßnahmen zur Öffnung ihrer Märkte ablehnten ... Zum nächsten APEC-Treffen im neuseeländischen Auckland fanden die Vereinigten Staaten ... es noch nicht einmal notwendig, zu erscheinen."

Der Autor sieht aber in der gegenwärtigen wirtschaftlichen und militärischen Politik der USA die Gefahr eines unaufhaltsamen Abstieges für die Supermacht Amerika: "Die internationale Politik des 21. Jahrhunderts wird aller Wahrscheinlichkeit nach primär von den Reaktionen auf die Ereignisse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmt werden - sprich, von den unbeabsichtigten Konsequenzen des Kalten Krieges und der ausschlaggebenden Entscheidung der USA, auch nach dem Ende des Kalten Krieges eine Politik des Kalten Krieges zu verfolgen." Der Gegner in diesem unerklärten neuen Kalten Krieg seien die Wirtschaften des Restes der Welt. Und die hätten, nach allem, was er bisher erfuhr, bereits begonnen, sich zu wehren.

Ein Imperium verfällt - Wann endet das Amerikanische Jahrhundert? Von Chalmers Johnson Karl Blessing Verlag, München 2000. 320 Seiten, geb., öS 313,-/e 22,75

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