Rasende Infantilisierung

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Junge Regisseure in der Reihe "Young Directors Project" im Rahmen der Salzburger Festspiele.

Das haben wir von unserem Jugendkult: Die Dreißigjährigen weigern sich beharrlich, erwachsen zu werden. Weil sie sich jünger gebärden, als ihnen anstehen würde, droht unserer Gesellschaft die Gefahr der rasenden Infantilisierung. Das ist zu beobachten im Verlauf der Reihe "Young Directors Project" im Rahmen der Salzburger Festspiele, wo vier bemerkenswerte Inszenierungen der jüngeren Generation vorgestellt werden. Die beste soll mit dem "Young Directors Project Award", vergeben von Montblanc, ausgezeichnet werden. Junge Theatermacher, mit denen in Zukunft zu rechnen ist, bekommen hier ein Forum. Frisches, unverbrauchtes Theater wird versprochen, eines, das sich nicht damit abgefunden hat, sich dem Quotendruck zu beugen. So lautet der Anspruch.

Doch die ersten beiden Aufführungen imponierten kaum durch freches und tollkühnes Auftreten, nicht durch aufregende Ideen und erstaunliche Sichtweisen - albern und banal ging es zu auf der Bühne. Eine Generation stürmt die Theater, für die die ganze Welt Pop ist. Probleme, Gedanken, Gefühle? Das ist hier alles eins - ein willkommener Grund, mit Lärm und Getöse über die Bretter zu wirbeln, denen die Welt, die sie einmal bedeuten wollten, abhanden gekommen ist.

Die ganze Welt ist Pop

Barbara Weber hievte ein Stück von Roger Vitrac, Viktor! Happiness Is a Warm Gun (eigentlich: Victor oder Die Kinder an der Macht) auf die Bühne des Stadtkinos, das seit einigen Jahren "republic" heißt, und Roger Vontobel überzeugte in Christian Friedrich Grabbes Stück Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung das Berserkerhafte sofort. Ein Grabbe Experiment nannte er das Unterfangen und deutete damit an, dass er es mit dem Stück nicht so genau nehmen wollte. Das war das Subtilste am Ganzen.

Beide, Weber wie Vontobel, leuchten den Zuschauern richtig heim. Ein Merkmal des Kleinbürgers ist, dass er alle anderen für Kleinbürger hält. Beide Inszenierungen wollen den Beweis antreten, dass die Welt verkommen und verludert ist. Die Gesellschaft nach Vontobel: eine polternde Lärmmasse. Die Menschen nach Weber: eine stumpfe Konsumiermaschine. Nicht, dass man die Gesellschaft nicht so interpretieren dürfte, nur hat das nicht viel mit den Texten zu tun, die die Vorlage liefern.

Grabbe war ein verstörter Charakter, der an den Menschen litt und sich zu Tode soff. Er rächte sich mit einer Komödie, die zum Fürchten ist. Er nahm den Bürgern das, was sie am dringendsten benötigen, um sich behaglich zu fühlen, die Ordnung. Mit Grabbe kam das Chaos auf die Bühne, der Vorschein der Hölle. Roger Vontobel kennt nur das Übermaß. Auf ein Stück, das vorführt, wie die Unvernunft die Herrschaft auf Erden übernommen hat, reagiert er mit Randale. Mit Hilfe der Bühnenbildnerin Claudia Rohne müllt er den Raum zu, die Darsteller toben und feixen und zischen und brausen sich, die Musik dröhnt, und jetzt weiß es das Publikum: das Leben ist ein Spektakel. Das ist die Verbiegung der Anarchie in Pop, der Rebellion in Attitüde. Leider kommt nicht mehr heraus bei all diesem hyperaktiven Heischen nach Aufmerksamkeit als eine Inszenierung, die ganz schön wild ist.

Roger Vitrac traute seinen Zeitgenossen nicht über den Weg. Er schrieb ein Stück, in dem er sie attackierte und bloßstellte. An seinem neunten Geburtstag beschließt ein aufgeweckter Knabe, den Konsens mit der Gesellschaft zu kündigen und aus der Rolle zu fallen. Damit hatte Vitrac die Surrealisten auf seiner Seite und auch Barbara Weber, die ihm blindlings Gefolgschaft leistet. Sie will ihn noch übertreffen. Ihren Zeitgenossen traut sie ganz und gar.

Deshalb macht sie das, was andere Generationskollegen auch machen, wenn sie sich auf das Theater konzentrieren: Sie inszeniert nicht ein Stück, sondern zerlegt es nach ihren Vorstellungen, montiert Passagen von anderen Autoren, die ihr gefallen, dazwischen und tritt in jeder Minute den Beweis an, dass alles mit allem zusammenhängt. Vielleicht ist alles ganz anders und die Welt zerfällt gerade. Das Splitterwerk aus Episoden, Zitaten und Regieeinfällen macht uns darauf aufmerksam, dass, wo Einheit war, Chaos werden muss. Recht selbstgefällig geht es zu auf der Bühne, zwei stechen heraus: Aljoscha Stadelmann, der sich in die Rolle des Viktor begibt, macht seine Sache gut als Elefant im Porzellanladen der Gesellschaft. Und mit Mira Partecke trifft man auf eine Darstellerin, die das Zeug dazu hat, einem Stück Witz einzuhauchen. Sie schafft es im Alleingang, das Publikum zu verzaubern.

Alle Einfälle unterbringen

Es wäre ein Missverständnis, dem Surrealismus Beliebigkeit vorzuwerfen. Barbara Webers Inszenierung aber ist beliebig. Sie hat weniger ein Konzept als Einfälle, die sie alle unterbringen muss. Einmal kommt sie ein bisschen philosophisch, dann schlägt die Stunde Jean Baudrillards, ein anderes Mal wird ihr ganz unheimlich ums Herz, dann krachen uns einfache Beats um die Ohren. Gerichtstag über das Bürgertum wird abgehalten, und dazu bedient sich Weber der reißerischen Mittel der Denunziation. Damit beraubt sie sich der Möglichkeit, auf Zwischentöne zu hören.

Zwei Projekte stehen noch aus: Die Unvernünftigen sterben aus von Peter Handke inszeniert Friederike Heller (10., 11., 12. August im "republic"), Shakespeares Komödie Viel Lärm um nichts wird unter der Regie von David Bösch im Zelt im Volksgarten zu sehen sein (12. bis 16. August).

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