Ratio und Askese versus Leidenschaft und Sinnlichkeit

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Mit Karol Szymanowskis „König Roger“ bieten die Bregenzer Festspiele auf beeindruckende Art und Weise eine Opernrarität, inszeniert von Festspielintendant David Pountney.

Massenkompatible Oper auf der Seebühne, Raritäten im Festspielhaus – das ist seit Jahren das bewährte Konzept der Bregenzer Festspiele, die zuletzt bei ihren Indoor-Aktivitäten nicht nur eine in unseren Breiten eher selten zu erlebende Oper präsentiert, sondern zugleich, auch im Rahmen von Konzerten, einen nicht allzu häufig gespielten Komponisten in den Vordergrund gerückt haben. Karol Szymanowski (1882–1937), der polnische Spätromantiker mit impressionistischen Tendenzen und starkem Hang zu expressivem Orchestersound, steht in diesem Jahr schwerpunktmäßig im Mittelpunkt. Sein Stabat Mater, seine dritte Symphonie, seine Sinfonia concertante und sein Konzert für Violine erklingen heuer während des Festspielsommers am Bodensee in den Konzerten – und sein Hauptwerk, seine 1926 uraufgeführte Oper „König Roger“, als Opernproduktion im Festspielhaus.

Ein Werk ganz nach dem Festspielmotto

In diesem Werk geht es um den Gegensatz zwischen Askese und erstarrtem Ordnungssinn einerseits und Lebensbejahung, Lust und Leidenschaft andererseits – ein Werk also, das ideal dem Festspielmotto „Sinn und Sinnlichkeit“ entspricht. Im Mittelpunkt stehen dabei der sizilianische König Roger und ein geheimnisvoller Hirte, der das Volk mit seinen Heilsversprechen verführt. Er predigt Sinnlichkeit und Genuss – und diesen Gedanken kann sich auch der König nicht entziehen. Er folgt dem Hirten, verliert Frau, Macht und Autorität – und fühlt sich am Ende doch wie neubelebt.

Eine stimmungsdichte Produktion

Festspielintendant David Pountney hat dieses dreiaktige, nicht einmal 90 Minuten dauernde, pausenlos gespielte Werk selbst inszeniert und, unterstützt von einem atmosphärischen Licht-Design (Fabrice Kebour) im Einheitsrahmen einer amphitheater-ähnlichen Treppenarchitektur (Raimund Bauer), eine stimmungsdichte Produktion geschaffen. Musik und Bühnenaktion gehen in dieser Neuinszenierung (eine Koproduktion mit dem Gran Teatro del Liceo Barcelona) Hand in Hand – selbst wenn einige Details nicht ganz schlüssig erscheinen: Roger ist beispielsweise hier nicht der in seiner Ordnung erstarrte König, was den Gegensatz zum lebensbejahenden Hirten mindert – und warum erscheint dieser Verführer im zweiten Akt in Frauenkleidern? Ist es nicht gerade der Mann, der in Roger Gefühle des Unbekannten, der Angst und Leidenschaft erweckt?

Doch ungeachtet solcher Einwände besticht die Bregenzer Produktion durch ihre starken, aus den Klangfarben der Musik geschöpften Bildwirkungen und einen großen Spannungsbogen, was maßgeblich auch auf die farbenreiche Umsetzung der Partitur durch die prächtig disponierten Wiener Symphoniker unter der Leitung von Mark Elder zurückgeht. Allerdings drohen in der Dichte des orchestralen Gewebes zuweilen auch die Stimmen etwas unterzugehen. Scott Hendricks hat dabei mit seinem sonoren Bariton die geringsten Probleme, dem König Roger auch über alle Orchesterfluten hinweg stimmliche Markanz zu verleihen. Sowohl für die Königsgattin Roxane als auch für den Hirten könnte man sich aber sinnlichere Stimmen vorstellen, mochten auch mit Olga Pasichnyk und Will Hartmann sehr musikalisch und sicher agierende Solisten aufgeboten sein; gerade die verführerischen Worte des Hirten hätten, mit mehr Schmelz dargeboten, mehr Nachdruck gewinnen können als in der technisch korrekten Wiedergabe von Will Hartmann. Neben weiteren Solisten sind es ein Tanzensemble sowie Chöre aus Katowice und Krakau, im Verein mit dem Kinderchor der Musikhauptschule Bregenz, die maßgeblich zur starken Wirkung dieser Produktion beitragen.

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