Rationaler Romantiker

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Vor 50 Jahren gab Konrad Wachsmann Österreichs

jungen Architekten neue Perspektiven.

Seine Wirkung glich einer Erschütterung. Die Gewichtigkeit seiner Argumente und die Bestimmtheit der daraus resultierenden Forderungen lösten die heftigsten Diskussionen aus. Er sprach, ohne die Begriffe der Architektur und der Aesthetik zu gebrauchen", erklärten Friedrich Achleitner und Johann Georg Gsteu in der Furche vom 15. 2. 1958. Sie hatten zuvor mit Johannes Spalt, Friedrich Kurrent und Hans Hollein bei Clemens Holzmeister an der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert.

Ingenieur-Architekt

An die Stelle des barocken "Künstlerarchitekten" trat mit Konrad Wachsmann die strukturalistische Lehre des Konstrukteurs und Forschers, damit ein äußerst positives Spannungsfeld und die Öffnung zur aktuellen internationalen Architekturdiskussion. Auch andere junge Architekten wie Gerhard Garstenauer, Roland Ertl, Günther Wawrik, Eugen Groß, Ottokar Uhl, Hermann Czech u.a. erhielten wichtige Impulse. Der "rationalistische Romantiker" Wachsmann verband Technologie-und Fortschrittsglauben mit der Humanisierung der gebauten Umwelt. Ende der 1950er Jahre trug der Pionier des industriellen Bauens mit seinen Seminaren an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg 1956 bis 1960 viel für den Aufbruch zu einer "neuen österreichischen Architektur" bei. Zudem waren von den insgesamt rund 100 Teilnehmern der fünf Wachsmann-Seminare in Salzburg viele Ausländer, ein Drittel kam aus Deutschland.

Von dort stammte auch Wachsmann. 1901 in Frankfurt an der Oder geboren, erhielt er erste Anerkennung 1929 mit dem Landhaus für Albert Einstein in Caputh bei Potsdam und im vorgefertigten Holzhausbau. Nach der Emigration 1941 in die USA widmete er sich besonders Forschung und Lehre am "Institute of Design" in Chicago, später an den Universitäten Illinois und Los Angeles, wo er 1980 starb. Wachsmann zählt neben Buckminster Fuller und Frei Otto zu den herausragenden Ingenieurarchitekten des 20. Jahrhunderts. Er entwickelte während des Krieges nur aus Knoten und Stahlrohren Raumfachwerke. Sie sollten eine stützenfreie Überdeckung von Räumen nahezu beliebigen Zuschnitts unter Verwendung weniger, industriell gefertigter Bauteile ermöglichen. Bemerkenswerte Projekte großer freitragender Hallen fanden bedauerlicherweise keine Realisierung.

Wachsmann wollte mit möglichst wenigen Komponenten möglichst viele Konstruktionsmöglichkeiten erreichen. Diese Suche nach einem "universellen Knotenpunkt" prägte sein Leben. Darüber hinaus sollte die "Überwindung von Material, Methode und Aufgabe" - wie er in seinem Hauptwerk "Wendepunkt im Bauen" 1959 hervorhob - ein neues Raumerlebnis ermöglichen. Mit den Mitteln der Massenproduktion umsetzbare Lösungen wurden angestrebt. Dieser und der Industrialisierung räumte Wachsmann eine omnipotente Rolle ein.

Arbeit im Team

Zur Objektivierung der Planung sollte ein komplexer Entwicklungsprozess im Team die Willkür subjektiven Entwerfens ersetzen. Wachsmann hat diese Prinzipien an der Internationalen Sommerakademie in Salzburg konsolidiert. Er sprach von einer "schöpferischen Bedeutung" des Teams, "wenn jedes einzelne Mitglied dieser Gruppe grundsätzlich bereit ist, ganz bestimmte Arbeitsmethoden und Techniken der Zusammenarbeit zu akzeptieren. [...] Das bedeutet ebensowenig eine Gleichschaltung oder Immunisierung des Individuums wie etwa das unumgängliche Stimmen und Einspielen eines Orchesters."

Geist und Technik

Erinnerungen damaliger Studenten zeigen Wachsmanns beeindruckende Persönlichkeit. Der Kosmopolit aus der Avantgarde der klassischen Moderne war ein blendender Rhetoriker und besaß eine universale Bildung. Der Philosoph, Bonvivant und exzellente Konstrukteur vermittelte konstruktiv begabten Architekten die kulturelle, geistige und gesellschaftliche Dimension der Technik: "Den mehr künstlerisch Berührten zeigt er die ingeniöse Struktur, die faszinierende Materialität der Baukunst und die Spielregeln und Vorteile der Teamarbeit" - so der Architekturtheoretiker Otto Kapfinger.

Mit seiner konstruktiven und ablesbaren Stahlstruktur steht beispielsweise das Kolleg St. Josef, das die "arbeitsgruppe 4" in Salzburg-Aigen 1961/64 realisierte, in direkter Verbindung zu den Erfahrungen von Johannes Spalt und Friedrich Kurrent bei Konrad Wachsmann. Wie stark sich die Handschrift von Spalt, Kurrent und Holzbauer gegenüber früheren Arbeiten verändert hatte, zeigt der Vergleich mit der Kirche "Zum kostbaren Blut" in Salzburg-Parsch 1953/56.

",Bauen' - so logisch und einfach als ob eins aus dem anderen sich ergebe", mit Wachsmanns Grundsatz hat Gerhard Garstenauer die Architektur in Salzburg erneuert und die Logik der konstruktiven Grundstruktur - er nennt sie "Konstruktur" - zu einer wesentlichen Basis seiner Arbeit gemacht. Die Mercedes-Werkstätte in Salzburg-Lehen 1960/62 mit Wolfgang Soyka stand am Beginn der "Auseinandersetzung mit dem konstruktiven Fertigteilbau aus Stahlbeton im Industriebau" (Achleitner). Von einem Spannbeton-Primärsystem wurde das Sekundärsystem aus vorgefertigten Stahlbetonelementen abgehängt. Das augenscheinliche Beispiel für Wachsmanns Forderung nach Offenlegung der Konstruktion ist - so betont Garstenauer nach über 40 Jahren - abbaubar und wieder verwendbar, wird aber bald zu Bauschutt werden und einem Seniorenheim weichen. Eine Stadtentwicklung mit (hochwertiger) Substanz, eine intelligente Nachnutzung solch flexibler, vielfältig nutzbarer Räume - beispielsweise die Ansiedlung der von der Stadt finanziell massiv unterstützten "Fun Hall" - wurde nie betrieben.

Partizipatives Bauen

Ottokar Uhl wollte eine Verbesserung der Architektur durch eine Verbesserung der Vorgänge um das Bauen erreichen. Er stand Wachsmann nicht nur in seinem Interesse für bautechnologische Prozesse - beispielsweise der Montagekirche Siemensstraße 1963 in Wien - nahe, sondern konnte in seinen Arbeiten für einen partizipativen Wohnbau auf die Erfahrung im Team aufbauen. Die Spuren, die Wachsmann bei den jungen (österreichischen) Architekten hinterlassen hat, beschränken sich keinesfalls auf die Konstruktion, sondern sind äußerst vielfältig, etwa in der Disziplinierung des Entwurfsprozesses. Auch formal eigenwillige Architekten wie Hermann Czech berufen sich in ihrer Arbeitsmethode auf Wachsmann. Die Planungsentscheidungen im Team - so Czech - beruhten nicht auf ,"Einfällen", sondern wurden auf einem "strengen methodischen Weg erarbeitet". Für Friedrich Achleitner hat sogar die Aufarbeitung der Geschichte der österreichischen Moderne "auch ermuntert durch Wachsmann" begonnen.

Wachsmann bemühte sich Ende der 1950er Jahre intensiv um die Gründung des so genannten "Salzburg-Instituts". Das von internationalen Fachleuten geführte Bau-und Forschungszentrum sollte sich mit der Koordinierung und Auswertung aller für das Bauen maßgeblicher Faktoren beschäftigen. Er scheiterte aber in einem Land, in dem für Wachsmanns Anliegen der reale Hintergrund fehlte. Achleitner und Gsteu hatten 1958 noch die Hoffnung, dass Österreich dadurch "seinen alten Platz in der Entwicklung des Bauens wieder einnehmen" könnte: "Salzburg könnte der archimedische Punkt sein, von dem aus unsere Vorstellung vom Bauen aus den Angeln gehoben wird."

Wirkung des Furche-Artikels

Der Wachsmann-Artikel in der Furche 1958 provozierte Günther Feuerstein zu einer "Entgegnung". Für den Katalysator der etwas "jüngeren" Wiener Nachkriegsszene mit Coop Himmelb[l]au, Haus-Rucker, Zünd-up u.a. stellte sich die Frage: "Inwieweit kann der Geist die Technik bestimmen?" und "Welche sind die neuen Symbole der Architektur?" Feuerstein betonte die Wichtigkeit des schöpferischen Moments und publizierte im selben Jahr seinen Text "Inzidente Architektur", neben Friedensreich Hundertwassers "Verschimmelungsmanifest" und dem Aufruf von Arnulf Rainer und Markus Prachensky, "Architektur mit den Händen" zu machen, eine frühe Proklamation gegen den Funktionalismus. Die Exponenten der von Feuerstein geförderten Szene richteten - von der Weltraumfahrt fasziniert - ihren Blick auf Wissenschaft, Technologie und gesellschaftliche Veränderungen. Sie propagierten in utopischen, experimentellen und visionären Entwürfen eine Erweiterung des Mediums Architektur. Diese Schar junger Architekten prägte mit unkonventionellen Vorschlägen die so genannte "Visionäre Architektur" im Österreich der 1960er und 1970er Jahre.

Der Autor ist freier Architekturpublizist in Salzburg.

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