Rattenfängers zweite Chance

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Friedrich Cerhas Zuckmayer-Oper nach 17 Jahren wieder in Wien.

Anders als Friedrich Cerhas neuestes Bühnenwerk, "Der Riese vom Steinfeld", das seit der Uraufführung 2002 kontinuierlich von der Wiener Staatsoper gespielt wird und mittlerweile auch am Theater von Krefeld herausgekommen ist, war "Der Rattenfänger" seit seiner Uraufführung 1987 beim "Steirischen Herbst" und drei Vorstellungen an der Wiener Staatsoper vollständig von den Spielplänen verschwunden - bis zur jetzigen Wiederbelebung. Initiiert von Hans Landesmann, dem Musikchef der Wiener Festwochen, kam es im März dieses Jahres am Staatstheater Darmstadt zu einer Koproduktion mit den Festwochen; an zwei Abenden war diese Einstudierung jetzt im Wiener Museumsquartier zu erleben.

Man kann nur spekulieren, warum dieses Werk fast zwei Jahrzehnte ignoriert wurde. An der Thematik kann es kaum liegen, denn schon die Vorlage, Carl Zuckmayers 1975 uraufgeführtes Schauspiel, bietet eine stoffliche Fülle, aus der man gleich mehrere Opern speisen könnte: die mittelalterliche Legende vom Vagabunden, der eine Stadt von Ratten befreite und - da er von den Bürgern nicht bezahlt wurde - die Kinder fortlockte und mit ihnen verschwand, wurde in Zuckmayers Bühnenversion zu einem (aktuellen) sozialkritischen Drama, im dem es um Formen von Macht und Machtmissbrauch geht, um Probleme der Jugend, sogar - wie immer man das sehen will - um den Aufstieg eines einfachen Mannes zum Leitbild und zur Führerpersönlichkeit. Cerha selbst hat aus diesem Schauspiel ein Opernlibretto geformt und es mit der ihm eigenen Musik unterlegt, das heißt mit verschiedensten musikalischen, gekonnt verwobenen Mitteln vom leisen Gitarren-Zirpen bis zum hochdramatischen Fortissimo-Ausbruch illustriert. Was dieser Musik aber fehlt, ist das Moment der Überraschung, zu selten bildet der orchestrale Untergrund eine eigene Ebene. Der Komponist hat zwar für die länger als dreistündige Wiederaufführung seine Partitur revidiert und gerafft, Längen und bleiern wirkende Szenen wurden dadurch aber nicht vermieden.

Die Darmstädter Produktion zeichnete sich durch eine handwerklich tadellose, in vielen kleinen Details sehr überzeugende Inszenierung (Friedrich Meyer-Oertel) aus, mehr noch sogar durch ein imposantes Bühnenbild (Hartmut Schörghofer), das auf einer Drehbühne hervorragend den Wechsel zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen verdeutlichte und verschiedenste Spielorte freigab. In den nicht einfachen solistischen Aufgaben überzeugten vor allem John Pierce als Rattenfänger, Thomas J. Mayer als Stadtregent, Andreas Wagner als gelähmter Johannes, Wojciech Halicki als Hostienbäcker und Hans Christoph Begemann als kleiner Henker in stimmlicher und ausdrucksmäßiger Hinsicht, Morenike Fadayomis Sopran fehlten dagegen für die Rikke Zwischentöne und Farben, einigen Kleinrollendarstellern - so sie schon nicht über stimmliche Qualitäten verfügen - textliche Deutlichkeit. Cerhas Musik war bei den Orchestermusikern unter der um Expressivität bemühten Leitung von Stefan Blunier in besten Händen, die Partitur wurde facettenreich akkurat umgesetzt. Vielleicht sollte der Komponist noch mehr raffen und verdichten, für den in der jetzigen Form immer wieder absackenden Spannungsverlauf wäre es von größtem Vorteil.

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