Raus aus dem Schatten der Hochkultur

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Die Reform der Situation der freien Theatergruppen hat sich verbessert, lässt aber noch immer einiges zu wünschen übrig, wurde vergangene Woche bei einem Symposium festgestellt.

Der Blick auf die gegenwärtige Wiener Theaterlandschaft offenbart, dass im Schatten der repräsentativen Bundestheater eine sehr lebendige Off-Szene gewachsen ist, die neben einer bemerkenswerten ästhetischen Vielfalt und Lebendigkeit auch durch eine deutliche Qualitätssteigerung der Produktionen gegenüber früheren Jahren auffällt. Dieser Umstand lässt die Vermutung zu, dass zwischen Fördermaßnahmen und Qualitätszunahme ein Zusammenhang besteht. Die Stadt Wien lässt sich ihre freie Szene tatsächlich was kosten. Mit etwa 19 Millionen Euro per anno verfügt Österreichs Metropole etwa über doppelt so viele Mittel wie Berlin, wobei es mit dem Vergleichen so eine Sache ist, da unklar ist, was jeweils alles eingerechnet wird.

Die nachhaltige Veränderung in Wiens freier Theaterszene ist nicht zuletzt der von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny initiierten und vorangetriebenen Theaterreform geschuldet. Was 2001 mit der Gründung des Tanzquartiers Wien begonnen und mit der Neuausrichtung des ehemaligen "dietheater" als Koproduktionshaus brut und des Schauspielhauses als Theater, das sich ganz der Förderung des jungen Dramatikernachwuchses verschrieben hat, seine konsequente Weiterführung erfahren hat, hat mit der Neustrukturierung der Förderpraxis für die freien Gruppen schließlich seinen vorläufigen Abschluss gefunden.

Diversifizierte Theaterdienstleistungen

Das Ziel der nun fast vollständig umgesetzten Reform, deren tragende Säulen die Projektförderung und die mehrjährige Konzeptförderung sind, war es unter anderem, die Theaterdienstleistungen in der Stadt zu diversifizieren. Das heißt einerseits neben den traditionellen Formen der darstellenden Kunst verstärkt innovative, experimentelle sowie kultur- und spartenübergreifende Ansätze und andererseits die Vernetzung auf internationaler Ebene zu fördern. Zudem sollen die periodischen Intendantenwechsel für die Klein- und Mittelbühnen sowie die Begrenzung der Laufzeit für Förderverträge die permanente Erneuerung der Szene sichern. Die Transparenz und Einheitlichkeit in den Vergabeverfahren und die regelmäßige Evaluierung durch Fachgremien sollen die freien Gruppen zu mehr Professionalität sowohl im künstlerischen als auch im administrativ-organisatorischen Bereich ermuntern.

Tatsächlich ist die Szene in den letzten Jahren nicht nur international anschlussfähig geworden, wie das von der Regisseurin Claudia Bosse mitbegründete theatercombinat oder auch die Performance-Formation toxic dreams zeigen, auch die Durchlässigkeit zwischen Hoch- und Off-Kultur ist in den letzten Jahren stetig gewachsen.

Dass die Reform die Situation der freien Gruppen verbessert hat, aber noch immer einiges zu wünschen übrig lässt, konnte vergangene Woche auf einem Symposion festgestellt werden. Zum Abschluss seiner seit Februar 2007 währenden Tätigkeit hat das mit Ende Mai aus dem Amt scheidende zweite dreiköpfige Kuratoren-Team für Off-Theater und Tanz (Angela Glechner, Marianne Vejtisek und André Turnheim) zu einer Tagung ins brut geladen, um der Frage nachzugehen, wie öffentliche Förderung die Qualität der freien Theater- und Tanzszene fördere.

In drei Arbeitsgruppen wurden zunächst die Fragen gestellt, ob sich Qualitätskriterien für die Beurteilung künstlerischer Arbeit in der darstellenden Kunst definieren lassen, welche Fördermodelle die Wiener Tanz- und Theaterszene noch brauche, und schließlich welche Institutionen in Zukunft noch gestärkt werden sollen, um der Entwicklung der freien Tanz- und Theaterszene weiter gerecht zu werden, wobei hier die Frage nach der Ausbildung angesprochen wurde.

Kunstförderungsgesetz fehlt

Während Berno Odo Polzer von Wien Modern und Mitglied der Theaterjury in dem von ihm geleiteten Arbeitskreis keine Einigung auf gemeinsame Qualitätskriterien feststellen konnte, Qualität als letztlich unmessbar beurteilt wurde, kritisierte Christine Standfest (theatercombinat) das Fehlen eines Kunstförderungsgesetzes und meinte, dass ohne Harmonisierung der Förderrichtlinien mit einer praxisnahen Künstlersozialgesetzgebung keine nachhaltige Reform zu erzielen sei. Zudem kritisierte sie die von der Stadt betriebene Standortförderung als wenig transparent und die Verwaltung für die Zwischennutzung geeigneter Stadträume als viel zu behäbig. Die Intendantin des steirischen herbstes, Veronica Kaup-Hasler, schließlich bemängelte als Sprecherin ihrer Arbeitsgruppe das Fehlen einer zeitgemäßen Ausbildung für neuere Theaterformen.

Am meisten kritisiert wurde von den vielen anwesenden Vertretern der freien Theater- und Tanzszene die noch immer ungenügende Dialogbereitschaft auf Seiten der Kulturpolitik. Und tatsächlich befremdete es, dass an der Tagung nach Politikern vergeblich gesucht wurde und die konstruktiven Vorschläge für die Ergänzung der Reform so ungehört verhallt sind.

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