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Heinrich Heines später Gott. Zur Heine-Monographie von Karl-Josef Kuschel.

Mai 1848: Europa ist in Aufruhr, die Aufstände in Frankreich, Deutschland, Österreich nähren noch die Hoffungen der Demokraten, wenige Wochen später werden sie niedergeschlagen sein. In Paris schleppt sich ein Kranker zum letzten Mal aus seiner Wohnung, im Louvre, vor der Venus von Milo bricht er zusammen: Heinrich Heine. "Zu ihren Füßen lag ich lange, und ich weinte so heftig, dass sich dessen ein Stein erbarmen musste. Auch schaute die Göttin mitleidig auf mich herab, doch zugleich so trostlos, als wolle sie sagen: siehst du denn nicht, dass ich keine Arme habe und also nicht helfen kann?'"

Eine Schlüsselszene in Heines Leben, in Karl-Josef Kuschels sensiblem Kalender der Verwandlung des Dichters. Heinrich Heine muss die letzten acht Jahre seines Lebens in der "Matratzengruft" verbringen, gelähmt, von Krämpfen geschüttelt, fast blind. Zugleich mit dem Scheitern der 48er-Revolutionen wird ihm seine Krankheit zur ständigen grausamen Begleiterin. Nun beginnt er, der Spötter über alle Religion, "Gespräche mit Jehova" zu führen, erfährt er die Hilflosigkeit des Kults von Schönheit, Rausch und Erotik, dem er gehuldigt hatte. Lehrt also Not beten? Diese simple Formel hat schon Heine selbst zu schaffen gemacht, wenn ihm Freunde vorhielten, es wäre anständiger zu sterben, wie er gelebt hatte: als Heide.

Aber so simpel geht Heinrich Heines Leben nicht zu Ende. Kuschel ist mit seinem Buch über die letzte Lebensphase des Dichters ein Wurf gelungen, wie er auf dem Feld der schwierigen Annäherung von Literatur und Theologie seinesgleichen sucht. Mit Akribie sammelt er alle Belege der Jahre bis zu Heines Tod 1856 und unterscheidet sie, um jedem Text auf adäquate Weise gerecht zu werden. Denn Gedichte oder Briefe, überlieferte Aussprüche oder Berichte von Besuchern am Krankenbett haben jeweils einen anderen Stellenwert, setzen verschiedene Farben in das Bild vom langen Abschied, in dem sich eine vorsichtige, aber unverkennbare Annäherung Heines an den Gott seiner Väter ereignete.

Heine - ein anderer Hiob: Er lässt es sich bis zuletzt nicht nehmen, Gott anzuklagen, der ihm jahrelange Qualen zumutet. Er tut es aufrecht stehend, wie Gott es von Hiob verlangt. Er lässt sich ebenso wenig wie Hiob von den Reden der Freunde irre machen. Er führt das Gespräch nicht als Wendehals, der sein Leben bis dahin verwirft und verspätet um Gnade bettelt, sondern mit der unbeschädigten intellektuellen Redlichkeit des Aufklärers. Daher Kuschels Bekenntnis, warum er dieses Buch geschrieben hat: "Wie lebt man als aufgeklärter Mensch mit Gott in der Katastrophe? ...Warum kehrt man zu Gott zurück, obwohl gerade diese Rückkehr unter dem Verdacht der Kapitulation oder Regression steht? ... Wie lebt man mit Gott, wenn man sich ständig vereinnahmt sieht von Leuten, denen die angebliche Bekehrung' Wasser auf die Mühlen ihrer ... religiösen Selbstzufriedenheit ist?"

Solche Fragen sind nicht von gestern: "Heine braucht keine künstliche Aktualisierung'", meint Kuschel zurecht. Sein Buch geht am Schicksal eines bedeutenden Menschen entlang und findet gegenwärtige Antworten. Dieses Verfahren wäre allen anzuraten, die heute lauthals über die Gottlosigkeit der Welt klagen und zugleich jede freundliche Erwähnung Gottes zum Zeichen wiedererwachter Gläubigkeit stilisieren. Dem Menschen heute ist wie Heinrich Heine "alles gleichzeitig präsent; Erfahrungen und Gegenerfahrungen, die Texte und Gegentexte." An ihm lässt sich dank Kuschels Buch lernen, dass Trauer und Rebellion, Glaube und Auflehnung einander nicht ausschließen, dass Ironie im Angesicht Gottes erlaubt ist. In seinem letzten überlieferter Text meint Heine: "Ich werde den lieben Gott, der so grausam an mir handelt, bey der Thierquälergesellschaft verklagen."

Gottes grausamer Spass? Heinrich Heines Leben mit der Katastrophe. Von Karl-Josef Kuschel.

Patmos Verlag, Düsseldorf 2002

360 Seiten, e 25,90

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