Rechtsstaat und Enteignung

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Dass der Zweck einer höheren Gerechtigkeit die Mittel zu deren Durchsetzung heilige, glaubten auch die Nazis. Ihr Zweck war die Ausmerzung des Jüdischen aus dem deutschen Volkskörper. Weil dem das Rechtsprinzip der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz im Wege stand, mussten die Juden sukzessive zu Nichtbürgern gemacht werden. Die Entkernung des Rechtsstaates erfolgte unter Wahrung seiner Fassade: durch Gesetze.

Die höhere Gerechtigkeit, die die deutsche Justiz heute in Sachen "Raubkunst“ verfolgt, ist eine historische, ist Wiedergutmachung. Und in ihren Mitteln ist sie nicht zimperlich. Da wird ein in Deutschland lebender Österreicher mit einer größeren (aber erlaubten) Summe Bargeld an der Schweizer Grenze anbetroffen und der Steuerhinterziehung verdächtigt, bei einer Hausdurchsuchung findet und beschlagnahmt man 1400 Bilder und ermittelt wegen Unterschlagung, obwohl klar ist, dass der Raubkunstverdacht sich gegen den Vater des Verdächtigen richtet, ein etwaiges Delikt nach 30 Jahren jedenfalls verjährt wäre. Im Zuge einer medialen Hetzkampagne gibt der Staatsanwalt seine pflichtgemäße Diskretion auf und stellt "fragwürdige“ Gemälde des Verdächtigen ins Netz und diesen an den Pranger. Damit lädt der Staat weltweit dazu ein, Ansprüche an rechtmäßig - durch Erbschaft - erworbenem Eigentum geltend zu machen, die nicht vor Gericht, aber vielleicht auf dem Wege moralischer Erpressung durchzusetzen sind. Sobald die Behörden den Kunstschatz öffentlich gemacht haben, lassen sie dem Eigentümer ausrichten, dass die Bilder in dessen Haus ja nun nicht mehr sicher seien. Und der bayerische Justizminister verlangt allen Ernstes eine Gesetzesänderung, die rückwirkend (!) gelten soll, damit all das, was jetzt leider nicht geht, doch geht. Womit auch die Beschlagnahme rechtens wäre ...

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin

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