Reformiert und filmfixiert

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Wiens Theaterlandschaft: Ein Blick in die Offszene von Julia Danielczyk

In Wirklichkeit wollen doch alle nur zum Film", soll der Regisseur Leander Haußmann vor einigen Jahren behauptet haben. Die aktuellen Theaterspielpläne zeigen, dass sich Haußmanns Diktum längst nicht nur als Provokation eines Theatermüden lesen lässt. Der derzeitige Trend sind für die Bühne bearbeitete Kinofilme. Da möchte man fast meinen, es gäbe keine "Bühnenschriftsteller" mehr, wenn auch die Nachwuchsförderung anderes prophezeit. Bei den Werkstatt-Tagen am Burgtheater etwa erarbeiten viel versprechende Talente gemeinsam mit dem Ensemble Stücke und Inszenierungen. Dramatikerstipendien und Literaturförderungen sollen junge Autorinnen und Autoren unterstützen. Allerdings wird man das Gefühl nicht los, dass diese Arbeiten auf die Nebenspielorte der großen Bühnen reduziert bleiben, und so besagte Investitionen in Verdacht geraten, Schweigegeld zu sein.

Das Risiko, einen unbekannten Namen auf den Spielplan zu setzen, wagen viele Bühnen immer seltener, anstelle dessen boomen Adaptierungen von Filmen, wie etwa Thomas Vinterbergs Das Fest (siehe Furche 5/2007), Axel Hellstenius' Elling (Theater in der Josefstadt) oder Lars von Triers Dogville (Volkstheater - siehe Furche Nr. 38/2006), die bekannt und erfolgreich sind und nun auch die Neugierde des Theaterpublikums wecken sollen.

Trend: Film auf die Bühne

Dass dieser Trend nicht allein ein Phänomen der Hochkultur ist, zeigt ein Blick in die Off-Szene. Wobei freilich gesagt werden muss, dass sich das Theater immer des Mediums Film bedient hat, es fragt sich eben nur wie.

Als diesbezüglich interessantes Projekt darf man New New West nominieren, eine Initiative von DRAMA X. Unter Harald Poschs und Ali M. Abdullahs Leitung haben sich vier Gruppen zu einem gemeinsamen Projekt zusammengefunden und fünf Dokumentarfilme von fünf Regisseuren für die Bühne bearbeitet. Die Off-Szene orientiert sich also auch am Film, allerdings am Dokumentarfilm. Was im Dokumentarfilm als authentisch betont wird, "literarisiert" die Bühnenumsetzung. Wirklichkeit wird Fiktion und damit in die Allgemeingültigkeit erhoben. Die angekündigten "neuen Texte fürs Theater" sind sie keinesfalls. Mit dem Selbstverständnis von Theater als politisch-gesellschaftliche Intervention wählte DRAMA X etwa Darwin's Nightmare oder Mardi Gras: Made in China. Globalisierungskritik ist die Ausgangsbasis dieses mehrstündigen Theatermarathons, der verschiedene ästhetische Konzepte zeigt: Reality-, Glamour-oder Trash-Theater.

Das Schauspielhaus - in seinem Selbstverständnis Brücke zwischen den Staatstheatern und der Off-Szene -, das in Kooperation mit dem Rabenhof, dem TAG und dem Ensembletheater das Projekt zeigte, ist unter den so genannten Wiener Mittelbühnen im Moment das innovativste Theater. Airan Berg hat mit internationalen Produktionen ein Koproduktionshaus etabliert, das für Qualität und Weltoffenheit bürgt. Ein eigenes Koproduktionshaus für die Stadt - nach dem Vorbild des Tanzquartiers - das die im Jahr 2003 ausgerufene Wiener Theaterreform verlangte, steht aber noch aus.

Die Wiener Theaterreform

Überhaupt sind viele Ziele der Theaterreform (noch) nicht erreicht. Zugunsten von mehr Pluralismus und Transparenz gibt es keine Intendanzen mehr "auf Lebenszeit", sondern die Leitungen müssen alle vier Jahre neu ausgeschrieben werden. Die eingereichten 117 Konzepte wurden von einer von der Stadt Wien eingesetzten Jury bewertet. Als wichtigste Vorgabe gilt die Förderung der "personellen und ästhetischen Belebung" der Freien Szene.

Für das TAG (Theater an der Gumpendorferstraße) etwa konnte man eine gute Lösung finden: die Gruppen-Kooperative HIGHTHEA (urtheater, Theater KINETIS, L.U.S. Theater) leitet das Haus der ehemaligen Gruppe 80 und sorgt für Vielfalt und Abwechslung. Die Produktionen stehen künstlerisch dennoch auf sehr unterschiedlichem Niveau. Dass die "ästhetische Belebung" ein mühsamer Prozess ist, hat die letzte Produktion Sketch (Autor: Ulrich Ziegler, Regie: Gernot Plass) gezeigt. Plass verfügt zwar über ein gutes Team, aber mit dieser antiquierten Vorstellung von absurdem Theater kann man schon lange nicht mehr punkten.

Andere Gruppen versuchen es mit Bewährtem. Scala-"Impresario" Bruno Max (Theater zum Fürchten) inszeniert seit vielen Jahren englische "schwarze" Literatur, vorwiegend Shakespeare-Zeitgenossen. Max erweckt die Texte zwar kurz zum Leben, doch sind die meisten Stücke heute nicht mehr spielbar, wie es jüngstens Ben Jonsons The Devil is an Ass zeigte. Auch für Robert Quitta bietet die zeitgenössische Dramatik scheinbar nichts an: Er hat für sein Österreichisches Theater das Stück Freud analysiert sich verfasst und auch selbst inszeniert. Quitta greift zwar ein spannendes Thema auf, die Inszenierung hält aber wenig von dem, was das Programmheft ankündigt.

Qualität unterschiedlich

Einzelne Projektförderungen, wie Kathrin Rögglas Arbeitsweltkritikstück Junk Space (ein Qualifizierungsprojekt des AMS für Arbeit suchende Schauspielerinnen) versprechen oft mehr, als sie halten können. Die Collage wirkt in der kalten Inszenierung von Isabella Gregor uninspiriert, als würde sie weder die Darstellerinnen noch die Zuschauer etwas angehen. Die freien Gruppen kommen in ihren Spielweisen bisweilen staatsbürgerlicher daher als die Staatstheater.

So eine Reform ist eben ein Prozess, und daher steht vieles noch aus. Die wesentlichen Desiderate hat die Theaterjury allerdings formuliert: Neben einem Koproduktionshaus wurde besonders inter-und multikulturelles Theater als "wichtig und förderwürdig" genannt. Im Jahr 2008 soll sich einiges ändern, und das Ensembletheater (das es auch dringend notwendig hat) wird als Ort der Begegnung der Kulturen im Zentrum Wiens neu positioniert. Zusätzlich zu den Eigenproduktionen sollen Kooperationen mit Proponenten der inter-und multikulturellen Szene stattfinden. Eine Co-Leitung wird nach einer Übergangsphase das Haus dann alleine führen.

Theater interkulturell

Im Moment erfüllt vor allem das dietheater diese Aufgabe und zeigte No Man's Land (ebenfalls ein für die Bühne realisierter Film). Die Gruppe daskunst hat eine lebendige und berührende Performance entwickelt, die mit rumänischen, afrikanischen, serbischen, kroatischen, türkischen, deutschen und österreichischen Schauspielern Theater von und für Migranten (jede vierte in Wien ansässige Person hat einen Migrationshintergrund) und Nicht-Migranten macht.

Es zeigt auch, wie wichtig es ist, multikulturelles Theater aus seinem Nischendasein zu holen. Überhaupt erweist sich das dietheater als eines der wagemutigsten Häuser und als unkonventioneller Spielraum. Im Augenblick ist dort eine der interessantesten Produktionen der Freien Szene zu sehen: De Lady in de Tutti Frutti Hat, eine Liebeserklärung an das Musical von der Gruppe toxic dreams.

Zwei neue Indendanten

Zusammen mit dem Schauspielhaus steht das dietheater heuer besonders im Blickfeld, da beide Bühnen im Herbst 2007 neue Intendanten bekommen. Andreas Beck (derzeit Dramaturg am Burgtheater) steht als designierter Schauspielhaus-Leiter, Haiko Pfost und Thomas Frank als Leitungs-Duo des dietheater ante Portas. Beck sagt im Furche-Gespräch, er werde "besonders die Zusammenarbeit mit österreichischen Autoren forcieren und ein neues Autorenprojekt starten. Das Schauspielhaus wird auch Raum sein, um neue Spielweisen mit jungen Theaterschaffenden zu erproben."

Auch Pfost und Frank wollen sich interdisziplinären Spielformen und Koproduktionsmodellen stärker widmen. Mit ihnen hat die Stadt Wien die Entscheidung für eine weitere Belebung der Szene getroffen und den Reformprozess beschleunigt, über den sich im Moment vor allem sagen lässt: Reformieren ist eben selbst ein performativer Akt, meistens sogar eine äußerst künstlerische Aktion.

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