Mehr Förderung und eine gemeinsame Schule der Zehn-bis 15-Jährigen fordert der Grüne Bildungssprecher Dieter
Brosz. Sein VP-Kollege Werner Amon hält dagegen - und an Elisabeth Gehrer fest.
Die Furche: Herr Brosz, die Grünen haben kurz vor der Wahl noch einen Misstrauensantrag gegen Bildungsministerin Gehrer eingebracht. Was macht Sie so misstrauisch?
Dieter Brosz: Wir finden einfach, dass die Frau Bildungsministerin die größte Schwachstelle im ÖVP-Regierungsteam ist. Ihre Bilanz ist äußerst bescheiden, um das vornehm zu formulieren. Im Bereich der Schulen haben wir durch den Sparkurs der letzten Jahren massive Probleme bekommen. Auch die Zahl der Studierenden und Akademikerinnen und Akademiker ist nicht ausreichend. Wir finden, dass es in der Bildungspolitik einen drastischen Kurswechsel braucht.
Werner Amon: Ein solcher Kurswechsel ist nicht erforderlich! Ich sehe auch diese Schwachstelle nicht, denn die Herausforderungen, die es im Bildungsbereich gibt, haben ihre Ursache nicht in der Bildungsministerin. Der Vorwurf, sie würde Lehrer einsparen, geht etwa ins Leere, weil hier die Landeshauptleute gefordert sind, die mit dem Finanzministerium den Finanzausgleich verhandeln. Dort sind die Lehrer-Schüler-Verhältniszahlen geregelt. Die Ministerin ist schon an die Landeshauptleute herangetreten, doch die haben dieses Thema noch nicht auf die Tagesordnung gesetzt.
Brosz: Dieses Hin-und Herschieben der Verantwortung kennen wir jetzt seit Jahren. Spätestens seit der PISA-Studie wissen wir aber, dass es deutliche Probleme im österreichischen Schulsystem gibt. Zumindest die Erkenntnis, dass wir im Förderbereich einen drastischen Nachholbedarf haben, müsste da sein. Durch die Chance des Schülerrückgangs - bis 2014 werden wir rund 15 Prozent weniger Taferlklassler haben -, wäre die Chance gegeben, in den nächsten vier Jahren etwa 7000 Lehrerposten anders verwenden zu können: von der Senkung der Klassenschülerzahlen bis zum Einsatz von Förderlehrerinnen.
Amon: Im kommenden Schuljahr wird es mehr als 300 zusätzliche Lehrerstellen für die frühe Sprachförderung geben. Außerdem habe ich ein Problem mit dieser übertriebenen PISA-Gläubigkeit. PISA ist eine wichtige Untersuchung - aber eine unter vielen. Es gibt etwa die Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation, die die Frage der Schulzufriedenheit abfragt, wo wir immer am Stockerlplatz sind. Oder es gibt Untersuchungen im World Competitiveness Yearbook, wo Österreich bei der Frage, was Jugendliche mit der Ausbildung anfangen können, gemeinsam mit Finnland an erster Stelle liegt. Wir wissen auch, dass es bei PISA statistische Ungenauigkeiten gegeben hat. Aber auch wenn wir in den Fächern Lesen und Mathematik plus Problemlösungskompetenz im Mittelfeld liegen: Daraus eine Systemfrage abzuleiten, halte ich für falsch - nicht weil ich ein Dogmatiker bin, sondern weil im PISA-Ranking mindestens genau so viele Gesamtschulmodelle hinter uns sind wie vor uns. Außerdem haben wir nur die halbe Jugendarbeitslosigkeit von PISA-Sieger Finnland.
Brosz: Der Zusammenhang zwischen der Jugendarbeitslosigkeit und dem Schulsystem ist ein äußerst beschränkter. Und die Klagen österreichischer Unternehmer über die mangelnden Qualifikationen der Lehrlinge kennen wir schon lange. Über die Hintergründe der finnischen Jugendarbeitslosigkeit möchte ich hier nicht diskutieren. Nur so viel: Dort fällt sie, während sie in Österreich in den vergangenen Jahren von einem zugegeben niedrigen Niveau aus deutlich steigend war. Und was die gemeinsame Schule betrifft, so ist sie ein wichtiges Element, um etwas zu bewerkstelligen, was man durch die Verbesserung der einzelnen Schultypen nicht schaffen wird - dass der soziale Hintergrund der Eltern nicht mehr so prägend für die Bildungskarriere der Kinder ist wie bisher. Diese soziale Schieflage kann man anders nicht ausgleichen.
Amon: Ich glaube sehr wohl, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Schule und Berufswelt. Und bezüglich der sozialen Segregation halte ich das in der Tat für ein Problem. Dass die Schule es derzeit nicht schafft, soziale Ungleichheiten auszugleichen, hat aber nicht in erster Linie damit zu tun, dass wir ein äußerlich differenziertes Schulsystem haben, sondern hier spielen andere Faktoren eine Rolle. In städtischen Ballungsräumen ist diese soziale Ungleichheit etwa viel stärker ausgeprägt als im ländlichen Raum. Es geht also eher um die Frage des Niveaus, das die einzelne Schule anbietet. Einfach nur eine gemeinsame Schule zu installieren, ist Symptombekämpfung.
Die Furche: Wobei die Wiener VP-Stadträtin Katharina Cortolezis-Schlager genau eine solche gemeinsame Schule fordert ...
Amon: Das ist eine Einzelmeinung. Wir haben erst vor dem Sommer in der Bundespartei einen einstimmigen Beschluss gefasst, dass wir beim derzeitigen differenzierten Schulsystem bleiben.
Brosz: Ich finde es aber sehr interessant, dass die ÖVP-Politiker vor Ort, die mit den Problemen konfrontiert sind, eine andere Meinung haben. Wie begründen Sie es wirklich, dass in Wien durchschnittlich 70 Prozent in die AHS-Unterstufe gehen? Das kann ja nichts mit den tatsächlichen Leistungen zu tun haben. Es führt jedenfalls an den Hauptschulen zu einer "Restschulproblematik", die auf der Hand liegt.
Amon: Aber wenn man im Ballungsraum die Hauptschule mit der AHS "vermantscht", dann löst das auch kein Problem! Man soll sich lieber die Ursachen ansehen. Eltern im urbanen Bereich haben offenbar ein Problem damit, ihr Kind in die Hauptschulen zu geben, weil sie - insbesondere in Wien - fast zu "Ghettoschulen" für Kinder mit Migrationshintergrund geworden sind. Wir müssen also die Hauptschulen weiterentwickeln - hin zu einer optimaleren Form der Förderschule im guten Sinn. Auch die PISA-Erkenntnis, dass 20 Prozent der 15-Jährigen Probleme mit dem sinnerfassenden Lesen haben, muss man ernst nehmen. Wir sollten etwa über eine verpflichtende Vorschule nachdenken. Auch ein bundesweiter Kindergarten-Rahmenlehrplan oder eine fünfklassige Volksschule wären wünschenswert.
Brosz: Wenn man den Fördergedanken ernst nimmt, dann stellt sich aber die Frage, warum gerade hier die Ressourcen so gekürzt worden sind. Als wir beide in Finnland waren, haben wir gesehen, dass dort rund 40 Prozent der Kinder in den Grundschulen in spezifischen Fördermaßnahmen sind - nicht 2,7 Prozent wie bei uns -, und dass zehn Prozent der finnischen Lehrkräfte speziell ausgebildete Förderlehrer sind.
Die Furche: Apropos Zahlen: Die OECD-Studie "Bildung auf einen Blick", wonach nur in der Türkei jährlich weniger Akademiker ausgebildet werden als in Österreich, hat für Kontroversen gesorgt. Wie interpretieren Sie dieses Ergebnis?
Amon: In Österreich haben wir in der schulischen Berufsausbildung eine völlig andere Tradition: Ich glaube nicht, dass unsere Diplomkrankenpflegerinnen schlechter ausgebildet sind als in anderen Ländern, obwohl sie dort einen Universitätsabschluss haben. Dasselbe gilt für die Absolventinnen und Absolventen der Pädagogischen Akademien. Wir haben diesen Bereich auch durch die Pädagogischen Hochschulen weiterentwickelt. Zu sagen, unser Bildungssystem sei nur noch mit jenem der Türkei vergleichbar, halte ich deshalb für zu schlicht.
Brosz: Sicher liegt ein Teil des Ergebnisses daran, dass bei uns große Berufsgruppen derzeit nicht im tertiären Bereich ausgebildet werden. Dazu gehören auch die Kindergärtnerinnen. Die Frage ist aber, ob man daran nichts verändern soll und ob eine berufsbildende Maturaschule ausreicht, um mit den Anforderungen im Kindergarten, mit der Sprachförderung und dem frühen Erkennen von Schwächen, fertig zu werden.
Amon: Aber eine Akademisierung heißt doch nicht, dass automatisch die Qualität besser wird ...
Brosz: Deswegen kritisieren wir auch, dass an den Pädagogischen Hochschulen nur ein Austausch der Türschilder vorgenommen worden ist - und keine Verbesserung in der Substanz.
Amon: Das wisst Ihr jetzt schon?
Brosz: Zumindest das Gesetz sieht man. Abgesehen von solchen strukturellen Änderungen wollen wir auch eine Ausweitung der Studienplätze von 200.000 auf 300.000.
Amon: Ich glaube es hilft gar nichts, wenn wir jede Menge Studierende haben, die aber später am Arbeitsmarkt keine Stelle finden. Wir haben mit der Autonomie der Universitäten außerdem eine Möglichkeit geschaffen, dass sich die Unis am Markt orientieren und flexibel Studienplätze zur Verfügung stellen können.
Brosz: Nur haben die Universitäten das gleiche Ressourcenproblem wie die Schulen.
Amon: Und Ihr wollt die Ressourcen der Universitäten noch weiter kürzen, indem Ihr die Studiengebühren abschaffen wollt ...
Brosz: Das ist völlig falsch! Die Ressourcen würden dann eben aus dem Budget kommen...
Amon: Und das wird dann wohl auch mit dem Eurofighter-Geld bezahlt, nehme ich an ...
Brosz: Nein, das wird finanziert, indem wir die von Grasser als Bagatellsteuer bezeichnete Erbschaftssteuer nicht streichen. Das würde 140 Millionen Euro kosten, die Abschaffung der Studiengebühren nur 100 Millionen Euro.
Die Furche: Nicht nur dieser Punkt würde bei schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen für Zündstoff sorgen, auch die Grundsatzfrage, wer das Bildungsministerium übernehmen soll ...
Brosz: Wir glauben wie gesagt nicht, dass Elisabeth Gehrer die notwendigen Veränderungen herbeiführen kann. Alexander Van der Bellen wäre hingegen ein sehr guter Bildungsminister.
Amon: Es kann sicher nicht sein, dass sich der potenzielle Koalitionspartner aussucht, wer die Regierungspartner sind. Die Grünen wollen ja nicht nur Elisabeth Gehrer nicht, sondern auch Karl-Heinz Grasser nicht und manche sogar Wolfgang Schüssel nicht. Zunächst wird man einmal inhaltliche Verhandlungen führen. Und dann gibt es eine Ressortzuteilung. Nominieren wird jene Gruppe, der das Ressort zusteht.
Die Furche: Bleibt Elisabeth Gehrer die Kandidatin der ÖVP?
Amon: Wir gehen einmal mit Elisabeth Gehrer in die Wahl. Und dann wird man sehen ...
Das Gespräch moderierte Doris Helmberger.