"Reicht nicht, an Schräubchen zu drehen"

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Grenzen wieder zu? Zeltlager für Flüchtlingsfamilien? Straßenblockaden durch wütende Asylquartier-Gegner? Anny Knapp, Obfrau der Asylkoordination Österreich, ordnet die österreichische Gemengelage im globalen Kontext ein.

DIE FURCHE: Österreichs Medien melden täglich, wie viele neue Asylwerber ohne Pass im Grenzgebiet "festgenommen" oder "angehalten" werden. Die illegale Einreise ist oft das erste Verbrechen, das ihnen der Volksmund vorwirft. Warum ist es in der öffentlichen Wahrnehmung wichtiger, wie jemand kommt als warum?

Anny Knapp: Es gibt außer dem Resettlement (Anm.: dauerhafte Neuansiedelung durch das UNHCR), das nur für sehr wenige Menschen in Frage kommt, keine Möglichkeit, legal einzureisen. Aber die wütende Emotion entsteht aus dem Gefühl, überrumpelt zu werden. Viele fühlen sich unwohl, wenn jemand, den man nicht kennt, und über den man nichts weiß, plötzlich einfach da ist.

DIE FURCHE: Mit Überrumpelung argumentieren auch viele Bürgermeister, die sich gegen Unterkünfte in ihrer Gemeinde aussprechen. Aus Orten wie dem steirischen Spital am Semmering, wo der Protest gerade besonders groß ist, beklagt man zu viele Asylwerber pro Einwohner. Gibt es einen Schlüssel für die richtige Relation?

Knapp: Nein, bei diesen Argumenten ist jeder einzelne zu viel. Es gibt keinen Schlüssel, nur ein vernünftiges Betreuungssystem oder eben keines. Dazu gehört im Übrigen auch die Öffentlichkeitsarbeit. Die hat sich in letzter Zeit unter Innenministerin Mikl-Leitner zwar etwas gebessert, aber was will man, nach jahrelanger, ungustiöser Negativ-Propaganda gegen Asylwerber? Jetzt das Steuer herumzureißen ist extrem schwierig.

DIE FURCHE: Sind wir auf dem richtigen Weg? Diese Woche trafen sich immerhin die Flüchtlingsreferenten der Länder

Knapp: Es reicht nicht an Schräubchen zu drehen, um der aktuellen Unterbringungskrise zu begenen. Wir brauchen ein viel flexibleres System der Grundversorgung, das die Selbstständigkeit von Asylwerbern fördert, so dass sie sukzessive nicht mehr auf Unterstützung durch den Staat angewiesen sind. Es würde Kosten minimieren, wenn die Leute die Möglichkeit hätten, früher Deutsch zu lernen, sich früher in den Arbeitsmarkt zu integrieren, und nicht erst nach Abschluss des Asylverfahrens. Immerhin bekommen mehr als 50 Prozent der Menschen, die hier um Asyl ansuchen es auch. Es hat keinen Sinn, wenn die warten müssen, bis sie sich integrieren dürfen.

DIE FURCHE: Die Verteilung von Flüchtlingen wird nicht nur innerhalb Österreichs, sondern auch innerhalb Europas diskutiert...

Knapp: und auch dort ist das Floriani-Prinzip unausrottbar. Beim Versuch, ein gemeinsames europäisches Asylwesen zu schaffen, zeigt sich, wie zäh die Materie ist. Man hat sich etwa auf ein Resettlement-Programm geeinigt, verpflichtet ist aber kein Land dazu. Und das Dublin-System, nach dem jeder Asylwerber seinen Antrag dort stellen muss, wo er zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat, fördert ungleiche Verteilung und kostet unnötiges Geld. Österreich etwa hat letztes Jahr 1050 Menschen in andere Länder überstellt, aber 705 mussten aufgenommen werden. Kontaktpersonen, erwachsene Geschwister, frühere Aufenthalte oder Sprachkenntnisse werden dabei gar nicht berücksichtigt. Dabei könnte all das wichtigen Integrationsinput geben.

DIE FURCHE: Das Thema betrifft alle Industriestaaten. Laut UNHCR haben 2013 612.700 Menschen in Nordamerika, Europa, Ostasien oder der Pazifikregion um Asyl angesucht. Das ist der höchste Stand seit 2001. Wie müssen die Staaten darauf reagieren?

Knapp: Die richtige Strategie kann nicht sein, alle in den Industriestaaten unterzubringen. Dort werden weder alle hin wollen noch können. Besser voran kommen werden wir, wenn wir in den Herkunftsregionen demokratische Werte stärken, Armut bekämpfen und gerechte Handelsbeziehungen aufbauen. Wir müssen auch überlegen, welche politischen Cliquen wir fördern. Das sind die Hauptansätze, mit denen man tatsächlich etwas bewegen kann.

Das Gespräch führte Veronika Dolna

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