Reise ins Lebenslabyrinth

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"Sein & Sinn" auf Schloss Ottenschlag - die niederösterreichische Landesausstellung, Teil 1

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"Sein & Sinn" auf Schloss Ottenschlag - die niederösterreichische Landesausstellung, Teil 1

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Sein & Sinn" sucht die Niederösterreichische Landesausstellung heuer auf Schloss Ottenstein. Ein Holzgerüst ziert die mittelalterliche Brücke zur Burg: das Leben ist ein Konstrukt, eine Dauerbaustelle, sich in ihr häuslich einzurichten, beschäftigte Denker aller Epochen. "Der Mensch ist dem Menschen das Interessanteste", meinte Goethe, "Hast du Wissen erworben, was fehlt dir? Fehlt dir Wissen, was hast du erworben?" fragt der Talmud. Viele Zitate auf weißen Wänden geben Sinn im Lebenslabyrinth, das Sein des Menschen zeigt sich an seinen Bedürfnissen nach Nahrung, Schutz vor Gewalt, Gesundheit, Wärme, sozialem Leben, Fruchtbarkeit.

Bevor zu viel Distanz aufkommen kann, führt der Weg in ein kleines Spiegelkabinett: "Der Mensch in der Geschichte - ein Mensch wie ich" steht vor dem eigenen Abbild. Nach einem Gang an wunderschönen prähistorischen Gefäßen vorbei eröffnet sich die faszinierende Welt des Totenkultes. Ein gläserner Totenwagen dient als Vitrine für wertvolle Grabbeigaben, im Boden ist eine archäologische Fundstätte nachempfunden. Prachtvolle Überreste eines 1968 bei Bauarbeiten im bulgarischen Silistra gefundenen Wagengrabs der Römerzeit sind zu sehen. Bestattungsriten halfen den frühen Kulturen, die essentielle Todeserfahrung zu bewältigen: sie gaben Hoffnung aufs Jenseits und Trauernden die Möglichkeit zum Abschied. Die moderne Strategie, dem Tod zu begegnen, heißt Verdrängung.

Nach einem kurzen Exkurs zu Krieg und Gewalt in der Jungsteinzeit, wendet sich "Sein & Sinn" Erfreulicherem zu. "Geborgenheit, Sicherheit, Ordnung" dokumentiert sich an einem mit Siedlungsgrundrissen austapezierten Raum und dem Modell eines Langhauses. "Zeige mir wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist": Christian Morgenstern. Löste der Vorfahre das Problem von Konservierung und Lagerung, indem er sorgfältig Getreide hortete, finden sich heute Packerlsuppen, 300- Gramm-Tafeln Schokolade und der allgegenwärtige Kühlschrank. Beides ist zu sehen, der Vergleich macht unsicher. Was nährt besser?

Gravierende Geschmackswandel auch bei der "Fruchtbarkeit". Eine Kopie der Venus von Willendorf, einer der fülligsten Figuren der Altsteinzeit, erfreut Liebhaber sinnlicher Formen, die "schwarze Venus" aus Dolni Vestonice aus gebranntem Lehm besticht durch ihre Eleganz. Ein feinverzierter "Hermaphrodit" mit verschieden interpretierbaren Geschlechtsmerkmalen ist im Original zu bewundern, außerdem andere faszinierende, wertvolle Frauengestalten. Eingebettet sind die archaischen Schönheiten in einen Cartoon aus dem Jahr 1910 an der Wand: ein britischer Forscher delektiert sich am prallen Hinterteil einer Khoi-San-Frau, gegenüber vermittelt digitale Graphik die Unkörperlichkeit des Internet. Das mystische Waldviertel ist nicht korrumpierbar: "Sein & Sinn" ist ein sinnlicher Weg zu den Urbedürfnissen des Menschen. (Lesen sie in der nächsten Ausgabe der furche über "Burg & Mensch", den zweiten Teil der niederösterreichischen Landesausstellung)

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