Reisender zwischen den Welten

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Er ist Oberhaupt der schiitischen Gruppierung der Ismailis. Und einer der reichsten Männer der Welt: Für Karim Aga Khan, 75, bedeutet das eine soziale wie politische Verpflichtung.

Karim Aga Khan ist Oberhaupt der muslimisch-schiitischen Religionsgemeinschaft der Ismailis und gilt als einer der reichsten Menschen der Welt. Lesern der westlichen Boulevardpresse ist er lediglich bekannt als Rennstallbesitzer und geschiedener Ehemann der Deutschen Gabriele zu Leiningen.

Auf den ersten Blick wirken diese Informationen widersprüchlich: Ein religiöses Oberhaupt ist Milliardär, Wohltäter und geschieden?

Sich mit der Person des Aga Khan zu befassen, ist ein komplexes und weltumspannendes Unterfangen. Seine rund 15 Millionen Anhänger, die Ismailis, leben vor allem in Asien, Afrika und in Zentralasien, aber auch in Kanada und in den USA.

Karim Aga Khan ist am 13. Dezember 1936 in Genf geboren, in Nairobi aufgewachsen und in Amerika ausgebildet. Er widerspricht allen Klischees eines muslimischen Führers: Er trägt weder Bart noch Turban, sondern tritt im Business-Anzug mit Krawatte auf. Er ist ein Reisender zwischen den Welten und auf die Frage, wie man diese Welten in einer Person und vor allem in dieser Position vereinbaren kann, wird man nie eine Antwort bekommen.

Im Islam ist Reichtum nicht verpönt, im Gegenteil, wer viel hat, kann viel geben. Wohltätigkeit ist eine der fünf Grundpflichten im Islam.

Die schiitischen Ismailis

Zehn Prozent aller Muslime sind Schiiten, davon wiederum sind zehn Prozent Ismailis, es handelt sich also um eine zahlenmäßig kleine Gruppierung. Ihr Glaubensansatz ist definiert vom Intellekt, wie der Londoner Islam-Forscher Malise Ruthven erläutert: "Wissen ist für sie das Geschenk Gottes, das Göttliche wird assoziiert mit dem, was man im Arabischen ‚aql‘ nennt, übersetzt Intellekt. Die erste Äußerung der göttlichen Präsenz ist in der Tat der menschliche Geist. Diesen Rationalismus haben nicht nur die Ismailis, aber sie haben sich ihn durch die Jahrhunderte mit der einzigartigen Einrichtung des Imamats bewahrt.“

Für die Ismailis ist ihr Imam der direkte Nachfolger des Propheten Mohammed, durch seinen Cousin Ali und seine Frau Fatima, der Tochter von Mohammed. Sie verehren ihren Imam, fühlen sich durch seine Führerschaft besonders. Zehn Prozent ihres Einkommens spenden sie ihm, das Geld wird reinvestiert in ein weltweites Entwicklungshilfe-Netzwerk.

Im "Aga Khan Development Network“ arbeiten 80.000 Mitarbeiter in über dreißig Ländern. Auf diese Weise ist es Karim Aga Khan gelungen, seine Anhängerschaft in einen Hilfs-Motor zu verwandeln, mit Krankenhäusern, Schulen, Universitäten, Fabriken und landwirtschaftlichen Projekten.

Als Karim Aga Khan in Harvard orientalische Geschichte studierte, starb im letzten Studienjahr 1957 sein Großvater. Überraschenderweise hatte dieser testamentarisch verfügt, dass sein Enkel Karim sein Nachfolger als Imam werden sollte und nicht sein Sohn Aly. Aly Khan war der Lebemann, mit dem Karim Aga Khan heute noch verwechselt wird. Aly Khan liebte den Luxus, ließ sich scheiden, um die Hollywood-Schauspielerin Rita Hayworth zu heiraten. Seine Leidenschaft für schnelle Autos wurde ihm zum Verhängnis: er starb im Jahr 1960 bei einem Autounfall. Und so erbte Karim Aga Khan einen der wertvollsten Rennpferdeställe der Welt und entschloss sich, diesen im Sinne der Familientradition weiterzuführen, obwohl er selbst nichts mit Pferden am Hut hatte. Als junger Imam hatte er andere Sorgen: Viele seiner Anhänger lebten damals in afrikanischen Staaten, die auf dem Weg in die Unabhängigkeit waren. Das veranlasste ihn zu der Entscheidung, in Nairobi die Tageszeitung Nation zu gründen. "Ich habe mich gefragt, ob die Afrikanischen Führer sich bewusst waren, dass sie der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig waren. Es gab keinerlei Afrikanische Berichterstattung über afrikanische Politik, Ambitionen, Ziele und ich hatte das Gefühl, dass das sehr gefährlich war.“

Die Zeitung gab den Kenianern in der schwierigen Übergangsphase von der Kolonialzeit in die Unabhängigkeit eine Stimme. Für Journalisten ist es nach wie vor gefährlich, über Missstände im korrupten Land zu berichten. Die "Nation Media Group“ ist heute das größte Medienimperium in Ostafrika, mit Fernsehsendern und Radiostationen. Für gut ausgebildeten Nachwuchs sorgt die Aga Khan Medienschule in Nairobi.

Mehr als ein spirituelles Oberhaupt

Allein dieses Beispiel macht deutlich, dass Karim Aga Khan nicht nur spirituelles Oberhaupt ist. Als Imam trägt er auch die Verantwortung für das tatsächliche Wohlergehen seiner Anhänger. Als Idi Amin Anfang der 1970er Jahre Uganda mit seiner Gewaltherrschaft terrorisierte, sorgte Karim Aga Khan dafür, dass die Ismailis unbeschadet das Land verlassen konnten. Seine diplomatischen Beziehungen ermöglichten deren Aufnahme in Kanada, wo sie heute eine gesellschaftlich-relevante Gruppierung darstellen. Das Aga Khan Museum für Islamische Kunst, das größte seiner Art außerhalb der islamischen Welt, wird deshalb gerade in Toronto gebaut. Für Karim Aga Khan ist Kunst eine bisher unterschätzte Brücke zwischen westlicher und östlicher Welt.

"Die islamische Welt ist erstaunlich stark in den Geisteswissenschaften. Aber die westliche Welt hat das nie gesehen. Und ich glaube, dass ein mögliches Fundament für einen echten Dialog dieser ganze Bereich von Kunst, Kultur, Philosophie sein könnte, der bisher völlig ausgeblendet wurde. Aus der Sicht der islamischen Welt ist unser Problem, dass wir von der westlich zivilisierten Welt nicht wahrgenommen wurden. In der westlich zivilisierten Welt lehrt man die Pluralität der Sprache, der Philosophie, Religion, Kultur, aber bis vor kurzem hat das Wissen über den Islam nicht zum Selbstverständnis einer gebildeten Person gehört.“

Das größte Bedauern des 75-jährigen Imam gilt seiner Erfahrung, dass es in der westlichen zivilisierten Welt so gut wie keine Kenntnis der islamischen Kultur gibt. Im Bereich der Geisteswissenschaften, der Kunst, der Kultur liegt für ihn die Ebene, auf der sich Europa und der Islam begegnen können, auf Augenhöhe und mit all ihrer Vielfalt. Diesen Brückenschlag zu unternehmen darf aus europäischer Sicht als das Lebenswerk und Vermächtnis von Karim Aga Khan gesehen werden.

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