REISS DICH LOS und entwirf dich neu!

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Was willst du einmal werden?", fragen wir Kinder und Jugendliche. Danach konstatieren wir nur noch: "Aus dem ist nichts geworden!" oder "Die hat es zu was gebracht!" Das Urteil ist schnell gefällt. Vielleicht ist aber doch mehr aus mir geworden, wenn nichts aus mir geworden ist. Oder vielleicht habe ich mich in meinem Wesen unterboten, wenn ich es zu etwas gebracht habe. Ist aus Ihnen etwas geworden? Das ist eine Bilanzfrage. Was kann aus Ihnen heute werden? Das ist eine Aufbruchsfrage. Doch welche Stimme in uns urteilt darüber, ob aus jemandem etwas geworden ist?

Nach Martin Heidegger ist der Fall klar: Hier meldet sich die Stimme des Man zu Wort. Man weiß, was richtig und falsch ist. Man kennt sich aus. Man beherbergt und verwaltet alle Werte und Normen. So macht man das eben. Das Man, schreibt der große Philosoph in "Sein und Zeit", gedeiht in der Uneigentlichkeit: "Die Bewegungsart des Absturzes in die und in der Bodenlosigkeit des uneigentlichen Seins im Man reißt das Verstehen ständig los vom Entwerfen eigentlicher Möglichkeiten und reißt es hinein in die beruhigte Vermeintlichkeit, alles zu besitzen bzw. zu erreichen."

Das Leben "existenzial" ergreifen

Der ganz große, kreative Akt wäre also, sich dem Entwerfen eigentlicher Möglichkeiten anheimzugeben, unser Leben "existenzial" zu ergreifen. Doch wie geht das? Im Sinne Heideggers, aber in meiner Sprache, lautet diese Frage so: Wie müssten wir leben, um unsere tiefste Sehnsucht zu verwirklichen? Was macht uns wirklich glücklich? Wie gelingt es, nicht an sich selbst vorbeizurasseln? Wie können wir uns von der Uneigentlichkeit losreißen, um uns kreativ entwerfen zu können?

Ein solcher Neu-Entwurf braucht einerseits das Sich-losreißen vom Alten, die Unabhängigkeit vom Applaus überholter Man-Werte -und andererseits das pionierhafte Vorpirschen in neue Seelenräume. Er erfordert, dass wir schöpferische Pausen einlegen und unsere Kreativität auf die Neugestaltung unseres Lebens ansetzen.

Nach Jean-Paul Sartre kommen wir um den Entwurf oder die Wahl unserer selbst gar nicht herum. Er versteht diesen Entwurf, der zugleich Inbegriff menschlicher Freiheit ist, als eine ursprüngliche Spontaneität des Sich-Wählens. Wobei es nicht darum geht, sich mittels verschiedener Einzelentscheidungen zu modellieren, sondern darum, eine Grundwahl bezüglich der eigenen Person zu treffen, wie Sartre in "Das Sein und das Nichts" schreibt: "Wir können uns als Fliehenden, Ungreifbaren, Zögernden usw. wählen; wir können uns sogar dazu erwählen, uns nicht zu wählen ( ). Was auch unser Sein sein mag, es ist Wahl."

Wie könnte eine solche, bewusste Grundwahl aussehen? Als was entwerfen Sie sich? Sowie Sie diese Premium-Version von sich visualisieren -möglichst täglich -, gehen Sie mit ihr schwanger. Am besten wäre, wenn Sie sich in Ihre neue, bewusste Grundwahl verlieben könnten.

Was die beste Richtung für diese Grundwahl, diesen Entwurf betrifft, so sind wir uns theoretisch bald einig: Am attraktivsten ist es wohl, glücklich zu sein. Aber was ist Glück? Die Weltliteratur bietet uns verschiedenste Definitionen an. Platon schrieb: "Die Menschen lieben lernen ist das einzig wahre Glück." Für Robert Spaemann bedeutet "Sinnerfahrung" Glück, und für den Dalai Lama besteht "der eigentliche Sinn unseres Lebens ( ) im Streben nach Glück." Ich habe eine Definition gefunden, die immer passt: "Glücklich sind wir, wenn wir denken und fühlen, was wir gerne denken und fühlen." Also wenn unser Kopf frei und unser Herz weit ist.

Freier Kopf als Inbegriff des Glücks

Die Neu-Erfindung unserer selbst hat den freien Kopf als Leitstern. Wir setzen nicht auf Ruhm, Ehre und äußeren Erfolg, sondern auf innere Erfüllung. Dazu verhilft uns ein freier Kopf! Schon Platon sagt, dass jenes Denk-organ, das von Bleigewichten beschwert ist, keinen Zugang zum Wahren hat. Er unterscheidet zwischen der Welt des Wahren, Absoluten und des Guten einerseits und der relativen Welt des Werdens andererseits. In "Der Staat" formuliert es Platon so: "Wenn dieses Denkorgan - gleich von Kindheit an -jener Bleigewichte entledigt würde, die der Welt des Werdens zugehören,... dann würde dieses gleiche Organ auch jene höhere Welt aufs schärfste erkennen, ebenso scharf wie die niedere Welt, der sie jetzt zugewendet ist."

Also, weg mit den Bleigewichten! Her mit dem freien Kopf! Denn der freie Kopf ist nicht nur der Inbegriff des Glücks. Er ist auch der Königsweg zum Ursprung der Kreativität -jener Kraft, die wir brauchen, um unsere Neu-Erfindung im faktischen Leben täglich zu verwirklichen. Je freier der Kopf, umso kreativer sind wir. Schlagen wir also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe, indem wir uns vor allem um einen freien Kopf bemühen. Das gelingt auf folgende Weisen:

WEG MIT GLÜCKS-SPIELVERDERBERN

Unser tollkühnes Ziel ist klar benannt: Nicht als Wiederholung oder zweiter Aufguss leben, sondern sich Richtung Glück entwerfen. Was hindert uns an einer entspannten Neu-Erfindung sowohl unserer Grundwahl wie an deren kleinschrittiger Umsetzung? Es sind die Spielverderber des Glücks. Wut, Eifersucht, Schuldgefühl, Angst, Stress, Druck, Pflichtzwang und viel mehr können dazugehören. Sie vereiteln den freien Kopf und versperren damit die Landefläche für das uns Übersteigende -ebenso wie die Tatsache, dass wir in Gewohnheiten, Mustern und Automatismen hängen. Putzen wir sie weg, indem wir sie nicht attackieren, sondern integrieren. Zum Beispiel mit der tatkräftig zu beantwortenden Frage: "Was brauchst du, um friedlich zu werden?" Noch weiter kommen wir mit präziseren Fragen (vgl. das Buch "Spielverderber des Glücks" von Ute Lauterbach; Anm.).

KOPF-FREI-TRAINING DURCH BEWUSSTES SPRECHEN

Wenn wir uns losreißen wollen, um in der schöpferischen Pause landen zu können, gelingt uns das auch, wenn wir anders reden. Stellen Sie sich vor, Sie würden Ihre Gespräche aufmerksam und kreativ in Entsprechung zu dem Entwurf Ihrer selbst gestalten! Konkret bedeutet das: Der Weg führt von den Worten der zweiten Wahl zu Worten der ersten Wahl. Also von dem, was man sagt, zu dem, was ich sagen möchte. Das ist etwas gefährlich, weil das vertraute Terrain verlassen wird. Aber geben wir uns Rückenwind mit Erich Fromm: "Kreativität erfordert den Mut, Sicherheiten loszulassen."

BRUTAL POSITIV SEIN UND RÜHMEN

Stanislaw Jerzy Lec bricht die Lanze für diesen Weg mit den Worten: "Man muß brutal sein, um sein Feingefühl durchzusetzen." Feingefühl verstehe ich hier als Fähigkeit, sich vom Augenschein nicht beeindrucken zu lassen, sondern sich selbst im Elend auf einen trotzdem bejahenden Kurs zu begeben. Folgende Fragen können hilfreich sein: Was ist der Vorteil am Nachteil? Was zählt letzten Endes? Wie lebte ich, wenn ich brutal positiv wäre und alles rühmte? Ein Gewinn des bewussten Rühmens ist, dass es uns augenblicklich von automatischen Reaktionen losreißt. Es braucht Bewusstheit und fördert autonome, kreative Prozesse.

Innerhalb unserer Grenzen sind wir nicht kreativ, sondern wiederholen. Deshalb ist Kreativität immer Grenzsprengung. Im kreativen Akt erfüllen wir unser Menschsein aufs Schönste: Wir reißen uns los vom Es-war und geben uns dem Wagnis des Entwurfs anheim. Bleiben wir in der schöpferischen Pause! Werfen wir uns mutig der Kreativität des Selbst-Entwurfs in die Arme. Denn nur wer sich neu erfindet, findet sich.

BUCHTIPP: Kopf frei! 14 Tipps, wie Sie eingefahrene Kommunikationsmuster verlassen. Von Ute Lauterbach. Kösel Verlag 2011,144 S., brosch., € 15,50

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