Sichtbarkeit der Religion
Vor Kurzem hielt ich ein instruktives Buch in der Hand: #Kirchenbauten profan genutzt. Der Baubestand in Österreich# von Jessica Wehdorn. Ich bereitete mich auf eine Tagung vor, zum Thema #Wechsel der Nutzung # Nutzen des Wechsels#. Es ging um den Verkauf von Kirchengebäuden. Die Diözese Essen etwa wird ein knappes Drittel ihrer Kirchen nicht länger unterhalten können.
Gegenwärtig wird die katholische Kirche mit der Erfahrung konfrontiert, dass sie den wankelmütigen und unkontrollierbaren Partizipationsmotiven ihrer eigenen Mitglieder unterworfen ist. Das bedeutet für sie, trotz komfortabler staatskirchenrechtlicher Absicherungen, massive religionsgemeinschaftliche Abstiegserfahrungen # während andere sich als religiöse Aufsteiger präsentieren können und es auch tun.
Es zeigt sich nämlich, dass Religion unter den neuen Marktbedingungen keineswegs Privatsache wird, das ist nur der Glaube, sondern im Sinne einer visible religion eine öffentliche Angelegenheit bleibt, ja neu wird. Freilich sucht nicht mehr öffentliche Religion den Zugriff aufs Private, das war das Modell der Kirchen, sondern private Religion(en), genauer noch: hochreligiöse Privatpersonen suchen den öffentlichen Raum. In ihm stoßen dann beide Öffentlichkeitsbewegungen hart aufeinander.
Die Konflikte eskalieren spätestens dann, wenn die einen merken, dass ihnen der Zugriff auf die Individuen nicht mehr so recht gelingen will, den anderen aber der Zugriff auf den öffentlichen Raum über hoch-religiöse Individuen nicht mehr reicht. Die Absteiger wollen dann wenigstens den öffentlichen Raum noch mit ihren religiösen Zeichen besetzt halten, die Aufsteiger aber wollen den öffentlichen Raum auch mit ihren öffentlichen religiösen Zeichen belegen. An diesem Kreuzungspunkt stehen wir: Wie damit umgehen, auf allen Seiten?
* Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Uni Graz
