Religiöse Rituale sind kein Selbstzweck

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Die Kategorisierung der Musliminnen und Muslime in Praktizierende und Nichtpraktizierende hat sich in den letzten Jahren im konservativen islamischen Diskurs durchgesetzt. Dabei gilt das Einhalten religiöser Rituale als Maßstab dieser Kategorisierung. Eine Muslimin, die kein Kopftuch trägt oder wer nicht fünf Mal am Tag betet, gilt als nicht praktizierend und somit als nicht fromm. Problematisch dabei ist, dass Frömmigkeit von äußeren Merkmalen abhängig gemacht wird, die Handlungen des Menschen in der Gesellschaft und seine Charaktereigenschaften rücken in den Hintergrund.

Die an Ritualen orientierte Kategorisierung dient zugleich als Machtinstrument der sogenannten Praktizierenden, um "für Gott" zu sprechen und hochmütig die "Nichtpraktizierenden" als unauthentisch herabzuwürdigen. Somit werden religiöse Rituale von ihrem ursprünglichen spirituellen und sozialen Sinngehalt ausgehöhlt und zu Symbolen der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Praktizierenden manifestiert.

Im Koran steht allerdings der Mensch im Mittelpunkt des Konzepts der Frömmigkeit, und nicht die religiösen Rituale, es geht an erster Stelle um den Charakter des Menschen und um seine Handlungen in der Gesellschaft. Religiöse Rituale sind dabei kein Selbstzweck, sondern ein Hilfsmittel, um sich eine Auszeit zu nehmen, in sich zu gehen und an sich und seinen Schwächen zu arbeiten.

Der Prophet Mohammed bezeichnete das Herz als Ort der Frömmigkeit; je frommer der Mensch wird, desto mehr Demut und Bescheidenheit, aber auch Liebe und Barmherzigkeit verspürt er in seinem Herzen allen Geschöpfen gegenüber. Wenn Religiosität zum gegenteiligen Resultat führt, dann ist der Mensch dringend dazu angehalten, die Intention seiner religiösen Handlungen zu überdenken.

Der Koran betont, dass es nicht um ausgehöhlte Rituale geht: "Die Frömmigkeit besteht nicht darin, dass ihr euch (beim Gebet) mit dem Gesicht nach Osten oder Westen wendet. Sie besteht vielmehr darin, dass ihr glaubt und von eurem Geld spendet. Frömmigkeit zeigen diejenigen, die ihr Versprechen einhalten und die in Not und Ungemach geduldig sind." (Koran 2:177)

Der Autor ist Islamwissenschafter und Imam in Wien-Ottakring.

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