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Der 11. September 2001 hat "Religion" in der gewalttätigen Form ins Bewusstsein katapultiert. Zwei prominente Religionsexperten diskutierten darüber im Salvatorianerkloster Wien-St. Michael: der Islamwissenschafter Peter Heine von der Humboldt Universität Berlin und Friedrich Wilhelm Graf, evangelischer Theologe, München.

Peter Heine: Ein Punkt, der in der Debatte um Islam und Gewalt immer wieder auftaucht, ist das Thema Dschihad, Glaubenskampf. Nach Auffassung einer Mehrzahl der islamischen Rechtsgelehrten bedeutet Dschihad zunächst einmal "Anstrengung aller Kräfte". Die islamische Rechtsgelehrsamkeit der Gegenwart unterscheidet zwischen zwei Formen, dem großen und dem kleinen Dschihad.

Der große Dschihad ist die Bemühung, die Anstrengung des einzelnen, um eine besonders vollkommene Form der Erfüllung des Willens Gottes, etwas salopp: die ständige Bemühung, den inneren Schweinehund in sich zu bekämpfen. Die andere Form, der so genannte kleine Dschihad, ist dann eine militärische Auseinandersetzung mit einem Gegner, wobei heutzutage die muslimischen Gelehrten eindeutig darauf hinweisen, dass dies keine aggressive Form militärischer Auseinandersetzung sein soll, sondern eine defensive.

Heiliger Krieg in der Bibel

Friedrich Wilhelm Graf: Wir kennen aus der Religionsgeschichte vielfältige Bespiele für religiöse Gewalt, die von Christen ausgeübt worden ist. Man muss einfach sehen, dass in den normativen Texten unserer christlichen Überlieferung, also in der Hebräischen Bibel oder dem Alten Testament und dem Neuen Testament, es sehr viel an Gewaltthemen, Gewalterzählungen usw. gibt.

Der Heilige Krieg ist eine Vorstellung der Hebräischen Bibel, des Alten Testaments, und der Heilige Krieg hat in der Christentumsgeschichte immer wieder als ein Legitimationsmuster gedient: Wenn wir heute mit dem Thema Dschihad zu tun haben, dann kommt ein Stück weit unsere eigene religiöse Tradition wieder zu uns zurück.

Haupt-Terroropfer Muslime

Heine: Der Dschihad ist im Übrigen die einzige legitime Form der militärischen Auseinandersetzung, die der Islam kennt. Militärische Auseinandersetzungen unter Muslimen sind an sich nicht gestattet. Nun beobachten wir ja in den letzten Jahrzehnten immer wieder, dass es militärische Auseinandersetzungen zwischen Staaten gab, deren Mehrheit der Bevölkerung muslimisch war - der iranisch-irakische Krieg oder die Invasion Kuwaits durch irakische Truppen: In all diesen Fällen haben die jeweiligen Machthaber von Dschihad geredet und dann die andere Seite jeweils zu Apostaten - Glaubensabtrünnigen - erklärt.

Das finden wir heute auch bei den gewaltbereiten islamischen Gruppierungen, die mehr und mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gekommen sind. Die Mehrzahl der Aktivitäten von terroristischen islamischen Gruppen richtete sich gegen andere Muslime: Das galt schon in den 70er Jahren in Ägypten, dann in Algerien im langen Bürgerkrieg, es gilt heute im Irak: auch da ist es die muslimische Bevölkerung, die von den verschiedenen Terrorgruppen attackiert wird.

Dies geht alles nur, weil gesagt wird, das sind alles keine richtigen Muslime, das heißt, es wird Legitimierung gesucht, indem man die anderen zu Heiden oder zu Apostaten erklärt.

Religionsgewalt medial

Graf: Wenn ich mir das Testament der Attentäter des 11. September 2001 anschaue, dann enthält dieses zentrale Elemente eines religiösen Selbstzeugnisses. Diese Menschen haben sehr viel von dem verstanden, wie Religion in der Gegenwart funktioniert. Man denke nur, wie in kirchlichen Kommunikationszusammenhängen Europas die Rede davon war, die Kirche müsste "ein Zeichen setzen". Zeichen setzen!

Auch Gewalt ist ein Zeichen: Mein Vorschlag ist, die neue Religionsgewalt kommunikationstheoretisch zu entschlüsseln - als den Versuch von Menschen für sich, für ihren Glauben, für ihre Wertüberzeugungen Aufmerksamkeit zu erzeugen. In modernen Gesellschaften werden permanent Kämpfe um die Aufmerksamkeitsökonomie geführt. Nach jedem Fernsehabend heißt es, der eine Sender hatte diese Marktanteile, der andere hatte jene: Da findet permanent ein Kampf darüber statt, wer denn was wahrnimmt: Insofern ist ein Großteil der neuen Religionsgewalt kein realer Krieg, sondern eine symbolische Besetzung von öffentlichen Räumen, ein symbolisches Geltendmachen der eigenen Wertüberzeugungen. Ein Kollege hat ausgerechnet, was die Werbekosten der 9/11-Leute gewesen wäre, wenn sie die mediale Aufmerksamkeit, die sie erzeugt haben, hätten bezahlen müssen: Man kann also mit bestimmten Gewaltakten globale Aufmerksamkeit erzeugen. Insofern ist Terrorismus eine lohnende Sache ...

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