Religion des Erbarmens und des Friedens!?

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Apologetik - aber auch Gesprächsbereitschaft prägten die diesjährige islamische Großkonferenz in Kairo. (Zum Islam in Ägypten s. auch Seite 4.)

Kairo, vergangene Woche: Ganze Heerscharen von Security-Leuten belagern das mondäne Hotel Marriott am Nil, Schauplatz der diesjährigen Generalkonferenz des Obersten Rates für islamische Angelegenheiten unter dem Ehrenschutz des ägyptischen Präsidenten, Hosni Mubarak. Delegationen aus über 60 Ländern und internationalen Organisationen sind an den Nil gekommen, um miteinander über die "Realität des Islam in einer veränderlichen Welt" ins Gespräch zu kommen: Scheichs, Muftis, Minister und Gelehrte. Besondere Brisanz erhält die Konferenz durch die Ereignisse des 11. September.

Unfair behandelt?

Der Islam hat im Westen eine zu Unrecht schlechte Presse. Das zumindest diagnostizierten die Veranstalter der Tagung, an ihrer Spitze der ägyptische Minister für religiöse Angelegenheiten, Muhammad Zakzouk. Eine Diagnose wurde im Veranstaltungsprogramm gleich mitgeliefert: Vor allem seit dem 11. September werde der Islam auf unfaire Weise mit Terrorismus in Verbindung gebracht, werde Arabern und Muslimen Zivilisationsfeindlichkeit und Ermutigung von Terror unterstellt - so als ließe sich das Wesen des Islam anhand des, wie es heißt, "dummen Verhaltens" einzelner Muslime bestimmen. Solches sei durchaus auch in Gruppierungen anderer Religionen und Zivilisationen zu finden. Erklärtes Ziel der Konferenz war es daher, den "wahren Islam" zu präsentieren und ihn gegen Missverständnisse in Schutz zu nehmen. Der Islam sei eine "Religion des Erbarmens und des Friedens".

Nach dem Koran sei einer der Gründe, deretwegen Gott die Menschheit geschaffen habe, der Dialog. Das sagte der Großscheich der Al Azhar-Universität in Kairo, Muhammad Said Tantawi, in seinem Eröffnungsreferat. Er zitierte jene Koranstelle, die als Motto über der Veranstaltung stand: "Wir erschufen euch aus der Vereinigung zweier, eines Mann und einer Frau, teilten euch in Stämme und Nationen und verstreuten euch über die Erde, damit ihr einander kennen lernt." Ein solches Verständnis vom Dialog der Kulturen, darauf legten auch viele andere Redner Wert, stehe der in den USA entwickelten These vom "Kampf der Kulturen" diametral gegenüber. Der Islam, so Tantawi, biete allen friedfertigen Menschen die Hand.

Apologetik prägte die Referate. Als Hauptverantwortliche für das schlechte Image des Islam wurden neben der Politik die westlichen Medien ausgemacht. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, so das Argument, habe man auf der Suche nach einem neuen Feindbild die islamische Welt entdeckt. Die Kritik an eigenen Glaubensbrüdern kommt da um einiges verhaltener. Auch Muslime selbst, räumen manche ein, haben Fehler gemacht und durch ihr Verhalten das Bild des Islam verdunkelt. Unwissenheit und mangelnde Bildung führen in manchen Fällen zu Extremismus und Gewalt, sagt etwa Religionsminister Zakzouk. Deutlichere Worte kamen vom Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche, Papst Schenuda III. In seinem Referat kritisierte er selbst ernannte Religionsführer, die andere als Apostaten disqualifizierten, selbst aber den Islam nicht verstanden hätten. "Wahre Muslime", sagte der Papst, seien nicht die, die nur muslimische Namen trügen, sich aber in Wirklichkeit weit vom Islam entfernt haben. Solchen Fehlformen des Islam entgegen zu treten, sei eine wichtige Aufgabe der islamischen Geistlichen und Gelehrten.

Aber eine Strategie für den Umgang mit militanten islamistischen Bewegungen zu finden war nicht ausdrückliches Ziel der Tagung. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand das schwierige Verhältnis zum Westen. Ein "Klima der Verunsicherung und des Misstrauens" konstatierte der österreichische Delegierte Hassan Moussa. Und der anglikanische Islam-Experte David Thomas von der Universität Birmingham, einer der wenigen nicht-muslimischen Konferenzteilnehmer, brachte es auf den Punkt: "Sobering - ernüchternd", sei es, zu hören, wie negativ "der Westen" vom Großteil der muslimischen Gesprächspartner bewertet werde. "Und das, obwohl wir selbst eine hohe Meinung von unserer Humanität und Dialogbereitschaft haben", sagte Thomas, der auch in einer parallel zum Plenum geführten Arbeitsgruppe mit diskutierte. Aus dieser Arbeitsgruppe berichtete die Wiener evangelische Theologin Susanne Heine, sie habe sich unter anderem gegen das Missverständnis zur Wehr setzen müssen, das Christentum sei grundsätzlich intolerant - und Auswüchse wie die Kreuzzüge schon in der Lehre eines Jesus begründet, der gekommen sei, "Feuer auf die Erde zu werfen". Immerhin sei es gelungen, so Heine, in den Gesprächen einige starre Fronten aufzubrechen.

Freischwebender Islam

Apropos Toleranz. Warum gibt es in französischen Schulen ein Kopftuch-Verbot? Warum dürfen Muslime in westlichen Ländern ihre zivilrechtlichen Angelegenheiten wie Ehe und Scheidung nicht selbst regeln? Die westlichen Vertreter mussten sich einige Frage gefallen lassen. Der bosnische Mufti, Mustafa Ceri´c, der Österreich im Hinblick auf den Umgang mit der muslimischen Minderheit ausdrücklich lobte, prangerte das in einigen europäischen Ländern verbreitete Phänomen eines frei schwebenden Islam an, das er auf die von vielen europäischen Staaten verweigerte Möglichkeit zur Institutionalisierung des Islam zurück führte. Dadurch erhielten Gestalten wie der "Kalif von Köln" (der in Deutschland wegen Terror-Unterstützung in Haft ist) eine Bedeutung, die ihnen vom Islam selbst her nicht zukommt.

Vor 21 Jahren ist der deutsche Diplomat Murad Hofman zum Islam übergetreten. Seither spielt er eine wichtige Rolle im muslimisch-christlichen Dialog. Er ist ein treuer Teilnehmer an islamischen Konferenzen aller Art. Der Sinn solcher Tagungen liege eher in der Begegnung auf den Gängen und beim Essen als in den offiziellen Referaten, sagt Hofmann. Die Anwesenheit bei der dicht gedrängten Folge von Referaten ist für ihn eher eine Frage der Treue. Was Hofman an seinen muslimischen Glaubensbrüdern und -schwestern auffällt, ist, dass sie seiner Ansicht nach dazu neigen, hinter vielen Ereignissen Verschwörungen zu vermuten. So werde die Globalisierung als von Interessen einiger weniger gelenkte Erscheinung wahrgenommen - eine Vorstellung, gegen die argumentativ schwer anzukommen sei. Selbstverständlich ist auch die Kritik an den Medien nicht frei von solchen Vorstellungen. Hinter der islamkritischen Berichterstattung vermuteten viele Teilnehmer die Einflussnahme "zionistischer Kreise".

Bin Laden, Ingenieur

Auch was den 11. September betrifft, sehen viele Gesprächspartner ganz andere Hintergründe als jene, die im Westen genannt werden. Der Großmufti des Libanon, Scheich Muhammad Raschid Kabbany, sagt, was viele denken: Diese Aktion könne nicht von ein paar jungen Burschen geplant worden sein. Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ließen zudem auf mächtige Interessen im Hintergrund schließen. Die USA, so der Verdacht des Mufti, habe einen Anlass gebraucht, um auf der Bühne der Weltpolitik die Muskeln spielen zu lassen. Ob Osama bin Ladens Al Kaida tatsächlich für die Terroranschläge in New York und Washington verantwortlich seien, sei daher fraglich. Was nicht heißt, dass Osama bin Laden Sympathien genießen würde: Er sei "ein Ingenieur, nicht autorisiert, über den Islam zu sprechen", nannte ihn beispielsweise Dekan Muhammad Al-Tabtabai vom Institut für Islam-Studien an der Universität Kuwait.

Die Ablehnung des Terrors ist einhellig. Und: Man verwahrt sich dagegen, dass Terror mit "Dschihad" verwechselt wird. Der Dschihad sei eine Regel für die Selbstverteidigung, sagt Ex-Botschafter Murad Hofman. Terroranschläge à la New York und Washington seien damit keinesfalls in Einklang zu bringen. Allerdings: Der Kampf um eigenes Land dürfe keinesfalls als Terrorismus verstanden werden. So eindeutig der Terror abgelehnt wird, so klar spricht sich die Konferenz für die Unterstützung der Intifada in den palästinensischen Gebieten aus. Der Nahostkonflikt ist die offene Wunde im Verhältnis zum Westen. Der Westen müsse einsehen, dass das dieser Konflikt eine Folge der Judenverfolgung im Dritten Reich sei und seine Verantwortung erkennen, fordert etwa der ehemalige Premierminister des Sudans, Al-Sadek Al-Mahdi. Eine für die muslimischen Palästinenser annehmbare und gerechte Lösung, das wurde in vielen Gesprächen am Rand der Tagung deutlich, ist eine wesentliche Voraussetzung für eine Wiederherstellung des zerrütteten Vertrauens. Wie schon im Vorjahr erklärte sich die Konferenz klar und deutlich mit den palästinensischen Intifada-Kämpfern solidarisch.

Selbstmordanschläge?

Ein Empfang bei Präsident Mubarak aus Anlass des Geburtstagsfestes des Propheten Muhammud, eine vom Scheich Tantawi ausgesprochene Einladung zum Mittagessen auf einem Nilschiff, dazu weitere Diners und Empfänge: An Raum für Diskussionen im kleinen Kreis herrschte kein Mangel. Ein brisantes Thema blieb dabei nicht unberührt: die Legitimität von Selbstmord-Attacken im Kampf der Palästinenser gegen Israel. Die Meinungen gingen stark auseinander Die eine Seite sieht alle Israelis als Teil des militärischen Kampfes gegen die Palästinenser und empfindet daher auch den Angriff auf Leib und Leben legitim. Die Vertreter der Gegenposition, vor allem von der kuweitischen Delegation in die Diskussion gebracht, sehen es unter Hinweis auf diesbezügliche Vorschriften im Koran auch im Kriegsfall als unerlaubt an, Kinder, Frauen, Mönche, Nonnen - und überhaupt Zivilisten - zu töten. Die Debatte ist im Gang, die Differenzierungen schafften es nicht ins Schlussdokument der Versammlung. Noch nicht, vielleicht.

Im Rückblick auf dreieinhalb Tage Konferenz lässt sich resümieren: Der 11. September und seine Folgen, die unbedachte Rede vom "Angriff auf die zivilisierte Welt" oder von der "Achse des Bösen" haben schwere und gefährliche Irritationen ausgelöst. Die wirtschaftliche, politische und kulturelle Vorherrschaft der USA, aber auch Europas, trägt zu dieser Verunsicherung massiv bei. In dieser Situation war die Konferenz von Kairo ein Appell an "den Westen", den Islam nicht zu verurteilen, sondern den Dialog wahrzunehmen und zu vertiefen.

"Die Zivilisationen prallen nicht zusammen", heißt es im Schlussdokument, sie interagieren und integrieren eher, nehmen voneinander und ergänzen einander."

Inschallah. Wenn Gott es will.

Der Autor ist

Religionsjournalist im ORF-Fernsehen.

TV-Tipp

Das ORF-Religionsmagazin Orientierung bringt einen Bericht zur Kairoer Konferenz:

Sonntag, 2. Juni, 12.30 Uhr, und Montag, 3. Juni, 12.15 Uhr, ORF 2.

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