Religionen kämpfen um faires Recht

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Das Anerkennungsrecht für Religionen ist seit Jahren juristische Baustelle. Eine Chronologie der letzten Hürden bis zur derzeit letzten Etappe.

Der 10. Jänner 1998: Das "Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften“ vulgo "Sektengesetz“ tritt in Kraft. Anlass sind die Anerkennungsbemühungen von Scientology und den Zeugen Jehovas. Die Eckpunkte: Um anerkannt zu werden, muss eine religiöse Gruppierung von nun an auf eine mindestens 20-jährige Geschichte in Österreich verweisen können, zehn Jahre davon als "religiöse Bekenntnisgemeinschaft“. Darüber hinaus muss sie Mitgliederzahlen in der Höhe von zwei Promille der österreichischen Gesamtbevölkerung (ca. 16.000) nachweisen. Kritiker bezeichnen das Gesetz als zu restriktiv.

7. Mai 2009: Die Zeugen Jehovas werden als Religionsgesellschaft in Österreich anerkannt. Sie sind die erste und bisher einzige Glaubensgemeinschaft, die den Weg, den das Bekenntnisgemeinschaftengesetz vorgibt, durchlaufen hat. Zuvor mussten sie sich über 30 Jahre lang durch verschiedene Verfahren an den österreichischen Höchstgerichten und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kämpfen. Dieser betont in seiner Entscheidung, dass jede religiöse Gruppierung das Recht auf ein faires Verfahren haben muss.

25. September 2010: Der Verfassungsgerichtshof trifft aufgrund von Beschwerden des Bundes Evangelikaler Gemeinden und der Mennonitischen Freikirche und aufgrund des EGMR-Urteils im Fall der Zeugen Jehovas eine Entscheidung: Die 20-10-Jahre-Regelung im Bekenntisgemeinschaftengesetz ist verfassungswidrig. Als Begründung wird die fehlende Rücksichtnahme auf die konkrete Situation der verschiedenen Bekenntnisgemeinschaften angegeben.

16. Mai 2011: Das Kultusamt legt einen Entwurf vor, um dem Erkenntnis zu entsprechen. Die Begutachtungsfrist - sechs Wochen, in denen sich betroffene Parteien zu Wort melden können - wird auf die Hälfte verkürzt. Die eingetragenen Bekenntnisgemeinschaften werden, ebenfalls entgegen der üblichen Vorgangsweise, nicht zur Stellungnahme aufgefordert. Der Entwurf sieht anstelle der bisherigen Regelung ein Modell mit drei alternativen Wegen vor, um von der "Bekenntnisgemeinschaft“ zur "Religionsgesellschaft“ aufzusteigen: eine 200-jährige internationale Tradition oder 100 Jahre internationale Tradition plus 10 Jahre Tätigkeit in Österreich "in organisierter Form“ oder - ähnlich wie bisher - 20 Jahre Bestand in Österreich, zehn davon "in organisierter Form“ und fünf als "Bekenntnisgemeinschaft“. Das Kriterium der Mitgliederzahlen bleibt unangetastet, ein neuer Paragraf soll dieAufhebung der Anerkennung regeln.

Mitgliederzahl wird zur Hürde

10. Juni 2011: Die Begutachtungsfrist ist zu Ende. Es sind 24 Stellungnahmen eingelangt, in deren überwiegender Mehrheit schwerwiegende Bedenken geäußert werden. Vor allem der neue Aberkennungsparagraf sorgt für Aufregung. Gemäß dem Entwurf des Kultusamts würden alle anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, die eines der Anerkennungskriterien nicht mehr erfüllen, diesen Status wieder verlieren. Das Problem ist: Weniger als die Hälfte der 14 anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften hat die geforderten 16.000 Mitglieder. Fünf von ihnen würden ihren Status umgehend verlieren, sollte der Entwurf zum Gesetz werden.

15. Juni 2011: Das Kultusamt übermittelt dem Nationalrat eine überarbeitete Version. Der Aberkennungsparagraf wurde entschärft, indem die Mitgliederzahlen als Kriterium der Aberkennung ausgenommen wurden. Der Leiter des Kultusamts, Oliver Henhapel, spricht im Interview mit religion.ORF.at von einem "Fehler im Eifer des Gefechts“.

Andere Bedenken in den Stellungnahmen, die etwa vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts oder von der Österreichischen Bischofskonferenz geäußert wurden, bleiben unbeachtet. Kritisiert wird insbesondere, mit diesem Entwurf des Kultusamts sei die Gelegenheit zu der seit Langem notwendigen Gesamt-reform des Anerkennungsrechts verpasst worden. Die nicht angetastete 16.000-Mitglieder-Hürde bedeute faktisch, den Stopp an Anerkennungen zu verlängern. Diese Zahl sei für nahezu alle Bekenntnisgemeinschaften nicht erreichbar, lautet der Grundtenor der Stellungnahmen. Das vom EGMR geforderte faire Verfahren sei damit nicht gegeben.

7. Juli 2011: Der Nationalrat beschließt die Novelle ohne weitere Änderungen. Mehrere Bekenntnisgemeinschaften kündigen weitere rechtliche Schritte an. Der Einsatz um faire Verfahren geht weiter.

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