Renaissance eines Klassikers

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Niels-Peter Rudolph inszenierte am Wiener Volkstheater Schillers "Don Carlos": sehenswert, aber nicht ganz überzeugend.

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Niels-Peter Rudolph inszenierte am Wiener Volkstheater Schillers "Don Carlos": sehenswert, aber nicht ganz überzeugend.

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Was haben uns deutsche Klassiker heute noch zu sagen? Gar nicht so wenig. Das beweist der "Don Carlos", den Niels-Peter Rudolph, ehemaliger Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, gerade am Wiener Volkstheater inszeniert hat. Wenn schon Johann Wolfgang von Goethe im Jahr der 250. Wiederkehr seines Geburtstages in Wien nicht auf dem Spielplan steht, so ist es wenigstens Friedrich Schiller.

Im Grunde verwundert es, daß seit den frühen siebziger Jahren, als Klaus Maria Brandauer am Burgtheater als Carlos debütierte, keine große Wiener Bühne dieses Werk gespielt hat. Denn die Begegnung mit der Tragödie um den spanischen Infanten, mit dem Aufbegehren der Freiheit gegenüber einem alles zermalmenden Bündnis von Thron und Altar, mit der Verzweiflung eines Sohnes angesichts eines hart und mißtrauisch mit der Festigung seiner Macht beschäftigten Vaters, der ihm die geliebte Braut weggeheiratet und zur Stiefmutter gemacht hat, lohnt sich, auch wenn Inszenierung und Besetzung nicht restlos überzeugen.

Niels-Peter Rudolph ist zum Glück kein Vertreter eines berserkerhaften Regietheaters. Schiller kann sich durchsetzen. Auch wenn Rudolph mit Bühne (Lilot Hegi), Kostümen (Erika Landertinger) und Musik (Biber Gullatz) der Gegenwart oft näher ist als dem 16. Jahrhundert, so muß man ihm insgesamt "Werktreue" attestieren. Er wirkt glaubwürdig bemüht, nicht sich selbst zu inszenieren, sondern Inhalt und Aussage des Stückes mit modernen Mitteln - bis hin zu einer Art "Hofball" mit Tanzmusik aus dem frühen 20. Jahrhundert - zu verdeutlichen. Daß er das Stück vor Jahren schon in Stuttgart ähnlich inszeniert hat, braucht niemanden zu stören.

Darüber, ob seine Volkstheater-Inszenierung das Schillersche Pathos nicht schon zu sehr meidet, wenn bekannte Zitate wie "Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!" eher wie ein Diskussionsbeitrag als ein Appell artikuliert werden, kann und wird es freilich verschiedene Meinungen geben. Den schönen Auftaktsatz "Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende" bekommt man gar nicht zu hören, dafür aber schon auf dem Vorhang zu lesen.

In diesem "Don Carlos" dominieren zwei einsame Männer: Carlos, der einen vertrauten Freund, und König Philipp, der "einen Menschen" sucht. Beide haben oder finden ihn in dem Marquis von Posa, und beiden geht er verloren. Die Bühne, auf der zunächst viel Mobiliar mit passenden Lampen herumsteht, leert sich mit der Zeit, die Lichter erlöschen oder werden ausgeblasen. Den letzten großen Auftritt hat der Großinquisitor, Symbol einer Kirche mit auch weltlichem Totalitätsanspruch, wie sie hoffentlich für immer der Geschichte angehört.

Die Schauspieler kommen mit den hohen Anforderungen ihrer Rollen nicht immer ganz zurecht und beim Publikum unterschiedlich an. Der König Philipp könnte für Wolfgang Hübsch eine seiner besten Rollen werden - ein Monarch, der sich keine Gefühle zugesteht, dessen Umgebung es wahrlich als "teuflische" Sensation empfinden muß, wenn er einmal weint. Hingegen wirkt Orazio Zambelletti, auch durch seine Sprechweise und nicht nur indem er seinem wiedergekehrten Freund regiegemäß an die Brust springt, wie ein sympathisch unbeholfenes, an Mangel an Vaterliebe leidendes großes Kind - ein sichtlich nicht zum Herrschen geborener Carlos. Ein ungewöhnliches Profil hat in dieser Inszenierung der Marquis von Posa: Andreas Patton stellt zwar einen stolzen Spanier, aber absolut keinen Malteserritter, sondern einen Bürokraten, der ständig die Aktenmappe mit sich trägt, auf die Bühne.

Chris Pichler als Königin und Franziska Sztavjanik als Prinzessin von Eboli bleibt die schwierige und nicht hundertprozentig gelöste Aufgabe, in dieser Männerwelt, der die Regie auch noch das Pathos geraubt hat, als junge ebenso lebenslustige wie unterdrückte Frauen zu bestehen.

Alles in allem - wieder ein sehenswerter Abend in Emmy Werners Musentempel.

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