Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt in China bekanntlich "vier klassische Romane", eigentlich "vier berühmte Prosawerke": "Die Drei Reiche" (um 1390) von Luo Guanzhong, "Die Räuber vom Liang-Schan-Moor" (um 1573, stammt vermutlich auch von Luo Guanzhong, erschien aber später), "Die Reise nach Westen" (1590) von Wu Cheng'en (Leser dieser Kolumne kennen schon den verspielten König der Affen und seine skurrilen Freunde) und "Der Traum in der Roten Kammer"(um 1750 bis 1792) von Cao Xueqin. Das Wort "Romane" ergibt wenig Sinn, es demonstriert nur die westliche Gewohnheit, alles Fremde an eigene Begriffe anzupassen und sich dann zu wundern, wenn das nicht ganz passt. Nun ist mit "Die Drei Reiche" die zweite neue, vollständige Übersetzung eines Werks von "den Vieren" binnen zweier Jahre erschienen (S. Fischer). Wer weiß, was solche Aufmerksamkeit bedeuten kann - auch Gefahr, wie die Erfahrung lehrt. Die Chinoiserie des 18. Jahrhunderts etwa ist dem Versuch der europäischen Mächte vorausgegangen, sich China im 19. Jahrhundert unter den Nagel zu reißen.

"Die Drei Reiche" ist eine opulente Historie mit belletristischen Einlagen. Über das Privatleben der Haupthelden, die Gründer der aus dem Han-Reich hervorgegangenen Königreiche Shu, Wu und Wei (zwischen 208 und 280, zur Zeit der sogenannten Reichskrise im Alten Rom), erfahren wir herzlich wenig. Nur über die ständigen Versuche, die Konkurrenz zu überwältigen. Quasi "Krieg"(fast) ohne "Frieden".

Neuland für deutschsprachige Leser

Der deutschsprachige Leser von heute kann dieses Mammutbuch (864 Seiten, 2 Bände) mit viel Unschuld lesen -ist er kein Sinologe, sind für ihn Personen, Reiche, geschichtliche Ereignisse Neuland. Ein gebildeter Chinese weiß hingegen von Anfang an, wer gewinnt und wer verliert. Ich habe mich nicht halten können und bei Wikipedia nachgeschaut (drei Viertel des Buches waren schon gelesen) - so konnte ich nur annähernd das Gefühl der Trauer nachvollziehen, das ein Chinese von der ersten Seite an empfindet: Er trauert um das "einig Vaterland", und er trauert speziell um das Königreich Shu, weil der Autor kunstvoll und scheinbar distanziert seine Sympathie für Liu Bei, den angeblichen Nachfahren der Han-Dynastie, an den Leser weitergibt. Luo Guanzhong wurde um 1330 in Taiyuan oder Qiantang geboren, gestorben ist er vermutlich um 1400 in Qiantang; es wird angenommen, dass er zwei der "vier klassischen Romane Chinas" geschrieben hat - eine gewaltige Leistung, auch quantitativ.

Ich darf nicht über die übersetzerische Qualität sprechen, ich kann kein Chinesisch, aber die Sprachqualität des deutschen Textes hält sich meines Erachtens in Grenzen -wegen der Schönheit der Prosa wird das keiner lesen. Diese Ausgabe ist aus einem anderen Grund wichtig: Man tritt in Kontakt mit der langen und reichen Geschichte einer Zivilisation, die uns in vielem voraus war, von uns und den unserem Imperialismus nacheifernden Japanern zerstört wurde und zum x-ten Mal die innere Kraft gefunden hat, sich wiederherzustellen. Diese Zivilisation ringt dem Leser großen Respekt ab. Respekt und Obacht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung