Ressourcenhunger führt in die Katastrophe

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Wir stehen am Beginn eines Rohstoffweltkriegs, fürchtet Attac-Mitgründer Christian Felber in seinem Buch "50 Vorschläge für eine gerechte Welt" - ein Vorabdruck.

Einer der gefährlichsten blinden Flecken der neoliberalen Globalisierung ist die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen. Die Zielsetzungen der Globalisierung lauten einseitig Freihandel, Wettbewerb, Wachstum. Ob das Wachstum auf Kosten der Lebensgrundlagen geht, interessiert vorerst nicht. Zwar gibt es schon eine Reihe globaler Umweltabkommen, vom Arten-bis zum Klimaschutz, doch ihre Wirkung ist noch viel zu gering. Auch die Bemühungen um eine "Entkoppelung" des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum waren bisher vergebens, weil die Effizienzgewinne stets durch Mengeneffekte aufgefressen wurden. Ein einfaches Beispiel: Ein Auto verbraucht statt acht Liter nur noch sechs. Wenn aber doppelt so viele Autos herumfahren, steigen Ressourcenverbrauch und Emissionsniveau an. Seit 1981 verbraucht die Menschheit mehr, als die Natur erneuern kann. Der "ökologische Fußabdruck" der Menschheit ist heute um ein Fünftel größer, als der Planet verkraftet. Das heißt, wir leben bereits von der Substanz und nicht von dem, was sich erneuert, was die Natur "nachhaltig" zur Verfügung stellt.

Unverkraftbar für Planeten

Manche mag diese Tatsache verwundern, denn hat sich nicht der Zustand der Umwelt in den letzten 20 Jahren verbessert? Sind nicht die Flüsse sauberer und die Luft reiner geworden? Die Antwort lautet: Während der Umweltschutz auf lokaler Ebene in den Industrieländern einige Erfolge verbuchen konnte, verschärfen sich auf globaler Ebene so gut wie alle ökologischen Probleme: Klimawandel, Artenverlust, Bodenerosion, Entwaldung, Anreicherung von Ökosystemen mit Schadstoffen. Eine groß angelegte UNO-Langzeitstudie hat 24 "Leistungen" von Ökosystemen untersucht, von der Bereitstellung von sauberem Trinkwasser und Atemluft über die Produktion von Nahrung, Holz und pflanzlichen Rohstoffen bis hin zur Regulierung von Wasser, Temperatur, Klima, Schädlingen und Krankheiten. In den letzten 50 Jahren haben sich 16 dieser Leistungen verschlechtert, fünf sind konstant geblieben, nur vier haben sich verbessert. Davon zählen aber drei zur Nahrungsmittelproduktion: Ackerfrüchte, Fisch und Fleisch. Sie haben sich durch die - ökologisch destruktive - Intensivierung der Landwirtschaft verbessert. So kann gesagt werden, dass sich fast alle Leistungen verschlechtert haben. Ein paar Beispiele:

Ökologisch destruktiv

*Die Kohlendioxyd-Konzentration in der Erdatmosphäre hat seit Beginn der Industrialisierung 1750 um ein Drittel zugenommen.

*Die Artenvernichtungsrate liegt heute tausendmal höher als vor dem Eintritt des Menschen in die Geschichte. Ein Drittel aller Säugetiere, Vögel und Amphibien ist vom Aussterben bedroht. 40 000 Pflanzenarten und damit die Ernährungssicherheit des Menschen sind gefährdet.

*15 Prozent aller fruchtbaren Ackerflächen sind von Erosion betroffen, vor allem durch industrielle Übernutzung.

*Die globale Waldfläche hat sich seit Beginn des Ackerbaus halbiert; die Zahl der Feuchtgebiete seit 1950; der Fischbestand seit 1970. Ein Fünftel aller Korallenriffe und 35 Prozent der Mangrovenwälder sind verloren.

* Die Wasserentnahme aus Flüssen und Seen hat sich seit 1960 verdoppelt. Infolge der Überlastung vieler Ökosysteme hat die Wahrscheinlichkeit von "nicht linearen Veränderungen" stark zugenommen, zum Beispiel regionale Klimaänderungen, plötzliche Schädlingsplagen, Entstehung neuer Krankheiten oder "Kippen" von Gewässern.

Entgegen einem verbreiteten Vorurteil lebt nicht "die Menschheit" über ihre Verhältnisse und sind nicht die Armen die Hauptverursacher von Umweltzerstörung. Der Überkonsum der Menschheit ist auf den extremen Ressourcenhunger der Industrieländer zurückzuführen. Ein Viertel der Menschheit verbraucht drei Viertel aller Rohstoffe, Nahrungsmittel und Ackerflächen. Umgekehrt müssen sich drei Viertel der Menschen mit einem Viertel vom ökologischen Kuchen bescheiden. Das große Umweltproblem sind also nicht die Armen, sondern die Reichen. Der Wissenschaftler Mathis Wackernagel hat das Konzept des "ökologischen Fußabdrucks" (siehe Furche 34, Seite 7) entwickelt. Dieser rechnet den globalen Umweltverbrauch von Menschen in Fläche um, unabhängig davon, wo sie ihn verursachen. In den ökologischen Fußabdruck gehen alle Flächen ein, die für die Erzeugung von Nahrungs-und Futtermitteln, Energie, Wohnen, Verkehr und Urlaub sowie die Entsorgung von Schadstoffen verbraucht werden.

Pro Mensch stehen 1,8 Hektar dieser "globalen Biokapazität" zur Verfügung, das ist die Nachhaltigkeitsgrenze des Planeten. Bloß: Im Durchschnitt verbraucht die Menschheit schon heute 2,2 Hektar - um 21 Prozent mehr, als die Erde verkraftet. Entscheidend ist die "Verteilung": Der/die durchschnittliche EuropäerIn verbraucht fast das Dreifache: 4,9 Hektar, während die meisten armen Länder im nachhaltigen Bereich unter 1,8 Hektar liegen. Selbst das - absolut gesehen - ressourcenhungrige China liegt mit 1,5 Hektar pro Kopf noch klar im "grünen" Bereich.

Die Menschen in den Industrieländern stellen also nur 15 Prozent der Weltbevölkerung, sie verbrauchen aber 28 Prozent des Getreides, 30 Prozent des Fisches, 40 Prozent des Fleisches und der Milch, 60 Prozent der Kakaoernte und 64 Prozent des Kaffees. Dieses ungleiche Verhältnis gilt für alle Rohstoffe: Nur fünf Prozent des Erdöls, acht Prozent des Erdgases, 19 Prozent des Bauxits, 20,5 Prozent des Eisenerzes und nur zwei Prozent des Nickels liegen in den Industrieländern, sie verbrauchen aber 42 Prozent des Eisens und Stahls, 50 Prozent des Erdöls, 51 Prozent des Aluminiums, 57 Prozent des Bleis und sogar 64 Prozent der globalen Nickelproduktion.

Nordens Wohlstandslüge

Wie der Norden vom Süden zehrt, zeigt sich auch in der Handelsbilanz der EU: Ausfuhren von 400 Millionen Tonnen stehen Einfuhren von 1400 Millionen Tonnen gegenüber. In Geldwert gemessen ist die Handelsbilanz dagegen fast ausgewogen, denn die von der EU exportierten Güter kosten im Schnitt 2,20 Euro pro Kilo, während die importierten Güter nur 70 Cent pro Kilo wert sind: ungleicher Tausch. Noch ungleicher wird er durch die "ökologischen Rucksäcke" der Importe. Der im Herkunftsland getätigte Materialumsatz beträgt bei den Importen 7,2 Milliarden Tonnen, bei den Exporten hingegen nur 2,3 Milliarden Tonnen. Der Süden ist der ökologische Kreditgeber des Nordens. Die "Wohlstandslüge" des Nordens besteht in der Einbildung, sich aus eigener Kraft entwickelt zu haben. Vielmehr haben wir das nur mit ökologischen

Anleihen "aus den Tiefen der geologischen Zeit und den Weiten des geografischen Raums" geschafft.

Dieser Lebensstil ist keinesfalls globalisierbar, dennoch steht der Norden als Vorbild da und viele Länder des Südens wollen "aufschließen". Eine Gruppe von 20 neuen Verbraucherländern, angeführt von China, Indien, Indonesien und Brasilien, beginnt dem Club der Industrieländer alle wichtigen Ressourcen streitig zu machen. Erdöl und Stahl sind nur der Beginn eines multidisziplinären Rohstoffweltkrieges. Vernunft und Gerechtigkeit gebieten daher, nur solche Wirtschaftsweisen und Lebensstile zu wählen, die globalisierbar sind, ohne die Tragfähigkeit des Planeten zu überschreiten. Das bedeutet, dass die Reichen am Zug sind und nicht die Armen. Derzeit zeichnet sich ein ganz anderes Szenario ab: Der Norden, allen voran die USA und die EU, entwerfen militärische Ressourcensicherungsstrategien. Das europäische "Friedensprojekt" droht zu einer zweiten USA zu werden. Im Vorschlag eines "White Paper" für die Europäische Sicherheitspolitik vom Mai 2004 steht: "Die Transformation Europäischer Streitkräfte von der Landesverteidigung in Richtung Intervention und Expeditionskriegszügen ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine effektive Europäische Sicherheitsstrategie." Eines der Missionsziele: "Schutz der Handelswege und des freien Flusses von Rohstoffen."

50 VORSCHLÄGE FÜR EINE GERECHTE WELT. Gegen Konzernmacht und Kapitalismus. Von Christian Felber

Deuticke Verlag, Wien 2006, 336 Seiten, brosch., e 20,50

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