Werbung
Werbung
Werbung

Von 12. Juli bis 12. August ging in Wien ImpulsTanz 2007 über die Bühne.

Schöne, wie Windhunde schlanke, mit brüchigem Blattgold bedeckte, mit Tangfäden verzierte Wasserleichen räkeln sich auf kreisrunden Projektionsschirmen: Amjad, das neueste Opus des in Casablanca geborenen, in Kanada ansässigen Choreographen Édouard Lock. Gegen Ende werden Scheinwerfer einen überdimensionierten Schattencorpus entwerfen, der, einer Aufblaspuppe gleich, über einem klirrend-kalten Mann-Frau-Duett schwebt.

Amjad ist ein von jeder Romantik gesäubertes Märchen, in dem die beiden Tschaikowsky-Klassiker Schwanensee und Dornröschen tanzend gegeneinander in den Kampf ziehen; in schnellem Tempo, illusions- und visionslos; angesiedelt in den dunklen Gefilden eines eisigen Ambientes, eines The Day After-Szenarios à la Hollywood.

Indes: Eine schon zu Grabe getragene Tanzform - der Ballettklassiker - wird hier wieder salonfähig gemacht, auch für die Fortschrittsdogmatiker im Publikum: Édouard Lock, ein Großer der "Szene", der in den 80er Jahren mit seiner Truppe "La La La Human Steps" den Tanz der schwindelerregenden Akrobatik propagierte, widmet sich nun dem Vokabular des klassischen Balletts. Vorbei sind die Zeiten, in denen William Forsythe die klassische Tanzsprache dekonstruierte. Lock rekonstruiert sie.

Er stellt sich der "Seinsfrage": Zu hinterfragen ist das Wesen des zeitgenössischen Tanzes - und somit der Kunst selbst. Womit wir bei einer der Kernfragen des am 12. August zu Ende gegangenen ImPulsTanz-Festivals 2007 wären: Was bleibt?

Klassik-Rekonstruktionen

Ihr stellten sich auch andere Stars jenes Immer-Neuen, des immer noch spektakulärer "Revolutionären" der letzten Jahre: Der Flame Wim Vandekeybus, der in seinen bislang 21 Stücken die Gewalt, die aggressive Erotik, die Zerfleischung von Mann und Frau auf die Spitze trieb - "Ultima Vez", "Zum letzten Mal" taufte er seine Kompanie -, warf einen Blick in den Spiegel: In einer Werk(re)konstruktion ging er einmal mehr auf die Suche nach der animalischen wie fragilen Körperlichkeit. Aber eben rekonstruktiv.

Der Italiener Emio Greco versuchte sich an einer Neuauflage von Extra Dry, dem Abschluss seiner bahnbrechenden Trilogie Fra Cervello e Movimento ("Zwischen Gehirn und Bewegung"). Die Devise lautet: "Ich bin mein Körper, ich spüre den Raum in ihm und außerhalb, ich transformiere, bis außen und innen eins sind." Ähnlich Anne Teresa de Keersmaeker, die sich in Sister, einer Arbeit ihres früheren Solisten Vincent Dunoyer, über ihren berühmten Tänzer also, neu zu definieren hatte. Ergebnis: ein stilles Solo von wahrer Größe.

Das Bilanzziehen mit Zukunftsblick, die intensive Suche nach dem, was die Zeit überdauert, haben diese stilprägenden Choreographen in ihren "Retro"-Stücken bei ImPulsTanz 2007 eindrucksvoll demonstriert.

Das Festival selbst war, man muss es kaum erwähnen, das erfolgreichste seit seinem Bestehen. Die Zahlen sagen alles: 30.000 Menschen besuchten 102 Vorstellungen bei einer Gesamtauslastung von 98 Prozent. Längst absolvieren auch die Damen der Gesellschaft den vierwöchigen Marathon, Seite an Seite mit löchrig gekleideten Tanzstudenten aus Übersee, gehobene Bildungsbürger sitzen vergnügt neben schrillen Szenemenschen.

Tanztheater für alle

Unbedingt noch zu erwähnen: Verführung und "Glamour fou" im Rahmen des Mode-Ausstellungs-Musik-Tanz-Events cross:depot im Semper Depot.

Leise Klaviermusik von Erik Satie perlt durch den Raum. Am hinteren Bühnenrand posiert eine hübsche "Sie" im weißen Kleid, streckt sich, macht "Ha, ha, ha", bricht ab, beginnt von neuem. Ein plötzlicher Aussetzer, die Schöne zupft sich am Kleid, dann bricht sie in ein Dauerlachen aus.

Posing Project - The Art of Seduction heißt das bei der Venediger Biennale jüngst mit dem Goldenen Löwen bedachte Opus des Österreichers Chris Haring. Ein Potpourri aus Flüstern, Schlucken, Säuseln, Sabbern, Kratzen und Quaken prasselt auf den Zuschauer nieder, aus dem Leben gegriffen, aber nicht am Leben gelassen, verzerrt, zerdehnt, entfremdet - menschenähnlich, aber gerade eben nicht menschlich … Ein grandioser Erfolg, in Wien wie in Venedig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung