Rettung der letzten Stammestrommeln

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Erst seit 15 Jahren gibt es österreichweit Privatradio. Der späte Start in die kommerzielle Rundfunkzukunft bescherte kaum Innovation. Mittlerweile ist das terrestrische Radio an sich in die Krise gekommen.

Als "Stammestrommel“ beschrieb Medientheoretiker Marshall McLuhan das Radio. Demnach erfüllte der Rundfunk die Funktion, Menschengruppen Zusammenhalt zu verleihen, ihnen einen gemeinsamen Rhythmus zu geben und ihnen die für sie relevanten Informationen zu liefern. Diese Charakterisierung jedoch trifft heute nur bedingt zu. Nur noch wenige Radioprogramme verfügen über eine Hörerschar, die sich mit ihnen identifiziert und sie als umfassende Informations- und Inspirationsquelle schätzt. Die meisten Programme heute sind ebenso verwechselbar wie austauschbar. Aus dem einst bedeutungsvollen Getrommel wurde ein beliebiges Umweltgeräusch, auf das niemand mehr achtet. Im Gegensatz zu anderen Ländern dauerte es lange bis diese Entwicklung in Österreich ankam, nämlich bis 1998. In diesem Jahr begann offiziell die Ära des privaten Radios im Lande.

Zum Umweltgeräusch verkommen

Bis dahin gab es in Österreich nur den ORF mit seinen drei bundesweiten Radioprogrammen: Ö1 für das Bildungsbürgertum, Ö3 für die Jugend und das englischsprachige Easy-Listening-Programm Blue Danube Radio; dazu kamen die ORF-Regionalprogramme, die sich der "Pflege der bodenständigen konservativen Unterhaltung“ (Gerd Bacher) widmeten. Diese Aufteilung entsprach immer weniger den gesellschaftlichen Gegebenheiten: Die Zahl jener, die ihre Hörbedürfnisse in keinem der öffentlich-rechtlichen Programme wiederfanden, wuchs ständig. Für die wachsende Zahl der Freunde von Musik abseits von Pop-Mainstream und klassischer Musik sowie junger, urbaner Diskurse gab es kein Angebot.

Einige wetterten gegen das "Medien-Albanien“ Österreich, andere boten dem ORF-Monopol tatkräftig die Stirn und betrieben Piratensender, deren Aktivität eher symbolisch war, deren Betreiber aber mit unverhältnismäßigem Aufwand verfolgt und mit hohen Geldstrafen belegt wurden. Jene zwei Privatradios, die aufgrund von Sonderregelungen schon 1995 auf Sendung gingen - Antenne Steiermark und Radio Melody (heute: Antenne Salzburg -, schufen auch keine Abhilfe. Vielmehr wiesen diese seichten Formatradios die Richtung, in die es ging.

Als am 1. April 1998 15 private Hörfunksender on air gingen, handelte es sich ausschließlich um kommerzielle Sender, deren Programmierung auf Marktforschung beruhte. Einziger Lebenszweck dieser Unternehmen war es, Ö3 und den ORF-Regionalprogrammen Publikum abspenstig zu machen und die entstehenden Hörerzahlen durch die Akquise von Werbekunden in Profit zu verwandeln. Mittlerweile gibt es in Österreich über 40 solcher Sender, die größtenteils auf einen marginal unterschiedlichen Mix aus aktuellen Hits und Oldies setzen. Radio Stephansdom mit klassischer Musik oder der Wiener Soul-Sender Superfly gehören zu den löblichen Ausnahmen.

Jene, denen echte Alternativen auf dem Radiosektor ein Anliegen waren, nämlich die aus den Piratensendern hervorgegangenen Freien Radios, kamen erst sukzessive dazu: Als erstes Freies Radio ging die Radiofabrik in Salzburg auf Sendung. Aktuell zählt der Verband Freier Radios Österreich (VFRÖ) 15 Mitglieder. Sender wie Radio Orange (Wien) oder Freies Radio Agora (Klagenfurt) verstehen sich als "unabhängige, gemeinnützige, nicht-kommerzielle und auf kommunikativen Mehrwert ausgerichtete Organisationen“ (VFRÖ-Charta) und als dritte Säule der Rundfunklandschaft neben öffentlich-rechtlichen und kommerziell-privaten Sendern. Die Entfaltung der Freien Radios ist zweifellos eine positive Folge des Aufbrechens des ORF-Monopols. Obwohl sie insgesamt nicht an Ö1 heranreichen, können sie punktuell mit dem öffentlich-rechtlichen Qualitätsmedium mithalten. Beim letzten Radiopreis für Erwachsenenbildung etwa gingen in drei von fünf Kategorien Freie Radios als Sieger hervor, Ö1 räumte nur in zwei Kategorien ab.

ORF zu Reformen gezwungen

Die Einführung des Privatradios hatte auch positive Auswirkungen auf den ORF, denn sie zwang den ehemaligen Monopolisten zu Reformen. Außerdem gaben die beiden vorzeitig gestarteten Privatsender gaben dem ORF die Gelegenheit, noch vor dem offiziellen Start 1998 Vorbereitungsmaßnahmen zu setzen. 1995 wurde Ö1 endgültig in jenen modernen Kultursender umgewandelt, der er heute ist. Mit Sendungen wie den "Spielräumen“ oder der "Musikviertelstunde“ des "Radiokollegs“ erfolgte die überfällige Aufwertung von Jazz, Folk, Weltmusik und anspruchsvollem Pop. Und mit FM4 erhielt Österreich einen progressiven Jugendsender, der zeitgenössische Musik abseits der Hitparade abdeckt ("Alternativer Mainstream“ nennt das der ORF) und junge Themen auf intelligente und reflektierte Weise abhandelt.

Bei Ö3 ging die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung: Die letzten Relikte aus anspruchsvolleren Zeiten ("Mittagsjournal“, "Musicbox“) wurden eliminiert und das Programm zu einem sogenannten Formatradio umgebaut: mit einer streng festgelegten Musikfarbe, genauen Richtlinien, wie eine typische Sendestunde abzulaufen hat, und einer Moderation, die ebenso permanenter wie penetranter Heiterkeit verpflichtet ist. Mittlerweile unterscheidet sich Ö3 in nichts mehr von einem x-beliebigen Privatsender. Damit konnten zwar die kommerziellen Privatradios klein gehalten werden - ihr Marktanteil beträgt derzeit magere 24 Prozent - aber diese Strategie birgt auch eine große Gefahr.

"Ö3 ist das kommerziellste öffentlich-rechtliche Programm auf der Welt“, konstatierte Ernst Swoboda, Chef des Senders Kronehit, bei der Jubiläumsfeier anlässlich 15 Jahre Privatradio. Der Medienmanager hat aufgrund des fehlenden öffentlich-rechtlichen Charakters von Ö3 eine Radio-Programmbeschwerde bei der KommAustria angekündigt. Man kann allerdings davon ausgehen, dass Swoboda die mangelnde öffentlich-rechtliche Qualität herzlich egal ist, sondern er eher darauf hofft, dass behördliche Auflagen - etwa ein zwangsweise höherer Wortanteil - Ö3 für die Hörer unattraktiver machen, auf dass diese zu den Privatsendern abwandern. Eine andere in der Vergangenheit regelmäßig ventilierte Variante, um den Widerspruch zwischen öffentlich-rechtlichem Auftrag und kommerziellem Habitus aufzulösen, wäre die Privatisierung von Ö3. Wie der Kurier vor einiger Zeit meldete, plante der damalige Finanzminister Karlheinz Grasser bereits im Jahr 2002 die Privatisierung von Ö3, was aber am Veto der Landeshauptleute scheiterte.

Die Schwächung oder gar Privatisierung von Ö3 hätte fatale Auswirkungen: Ö3 ist nämlich die "Cashcow“ unter den ORF-Radios. Fallen die Gewinne, die Ö3 abwirft, teilweise oder ganz weg, könnte dies das Ende von Ö1 und FM4 bedeuten. Ö1 wird niemals Geld verdienen, denn die Freiheit von Werbung gehört zum Wesen des Qualitätssenders. Bereits jetzt ist Ö1 chronisch unterfinanziert und kann sein Niveau nur deshalb halten, weil sich die für das Programm eminent wichtigen freien Mitarbeiter aus Liebe zum Radiomachen mit existenzbedrohlich geringen Honoraren abspeisen lassen. Auch FM4 wäre in der derzeitigen Form wohl kaum gewinnbringend zu betreiben.

Auch Formatradio in der Krise

Mittlerweile ist jedoch das terrestrische Formatradio selbst in der Krise. Fragt man 14-Jährige, welchen Radiosender sie am liebsten haben, lautet eine häufige Antwort: "Ich höre kein Radio.“ Natürlich hört diese Altersgruppe Musik - aber über das Internet. Die Videoplattform YouTube hat sich mittlerweile zur gigantischen Musikbibliothek entwickelt, die jederzeit und überall via Computer oder Mobiltelefon abrufbar ist. Und das völlig legal. So wie noch vor 15 Jahren zu warten, bis im Radio endlich das Lieblingslied gespielt wird, ist heute undenkbar.

Doch nicht nur Teenager zapfen das musikalische "Gedächtnis der Menschheit“, wie etwa der britische Musikjournalist Simon Reynolds YouTube nennt, an: Von Elvis Presley bis Pink Floyd, von hawaiianischen Instrumentals bis zum griechischen Rembetiko, von Barockoper bis zu experimenteller Elektronik findet sich für jeden Geschmack und für jede Gelegenheit etwas. Und wem das unentwegte Klicken mit einer Maus oder Betatschen eines Screens zu mühsam ist, sucht sich einfach eines der unzähligen Internet-Radios, wo er mit exakt jener Musikrichtung berieselt wird, mit der er gerade berieselt werden möchte. Mit diesen Möglichkeiten kann herkömmliches Formatradio nicht mithalten.

Ein Internet-Angebot, das Ö1 oder die Freien Radios ersetzen könnte, gibt es freilich nicht. Sie sind die letzten Stammestrommeln, die aus der großen Zeit des Radios übrig geblieben sind. Ein Programm wie Ö1 dem Gewinnstreben Einzelner zu opfern, wäre eine Katastrophe für das österreichische Geistesleben.

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