Revolutionärer Romantiker

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Zum 200. Geburtstag des ungarischen Dichters Mihaly Vörösmarty.

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Zum 200. Geburtstag des ungarischen Dichters Mihaly Vörösmarty.

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Literatur und Geschichte sind in Ungarn eng verflochten. Sehr oft waren politische Ereignisse der Auslöser für literarische Werke, und immer wieder haben Literaten mehr oder weniger erfolgreich die Politik zu beeinflussen versucht. Nicht zufällig ist etwa Sandor Peto'fi, einer der größten ungarischen Nationalhelden, Dichter und gleichzeitig Revolutionär gewesen, der selbst das Schlachtfeld nicht scheute.

Ganz so turbulent ging es im Leben Mihaly Vörösmartys nicht zu, aber auch er gehörte der ungarischen Reformbewegung an und unterstützte die Revolution mit Wort und Tat. Unter anderem. Nachschlagewerke haben ganz offensichtlich Schwierigkeiten, den vielseitigen Vörösmarty einzuordnen, wir finden ihn einmal als bedeutendsten Dichter der ungarischen Romantik, dann wieder als Revolutionär oder als Autor der ersten ungarischen Rechtschreiblehre beziehungsweise Mitherausgeber einer Grammatik.

Sein Leben widersetzt sich der Kategorisierung und Katalogisierung. Vor genau 200 Jahren, am 1. Dezember 1800, kam Mihaly Vörösmarty im kleinen Örtchen Nyek im Komitat Feher als Sohn eines verarmten Adeligen zur Welt. Statt materieller Güter erhielt er eine umfassende Erziehung und Allgemeinbildung, welche ihm auch nach dem Tod des Vaters tatsächlich seine Existenz sicherte: Der 17-Jährige wurde Erzieher der drei Söhne des wohlhabenden Sandor Perczel und besuchte nebenbei die Universität in Budapest, wo er zunächst geisteswissenschaftliche Fächer und dann Jus studierte.

Ein Land im Blut Unter dem Einfluss der patriotisch gesinnten Perczels reifte sein Wunsch heran, einen Dramenzyklus über den Aufstieg der ungarischen Nation zu schreiben. Die ebenso leidenschaftliche wie hoffnungslose Liebe zu Etelka Perczel, die Eingang in einige seiner Werke fand, war daran nicht ganz unbeteiligt. Und so entstand das Epos "Zalans Flucht", das die ungarische Landnahme thematisiert und dem ungarischen Nationalbewusstsein Auftrieb geben sollte. Wobei das "nationale Erwachen" vor allem einer Freiheitsbewegung gleichkam und in weiterer Folge einer Auflehnung gegen die Herrschaft der Habsburger.

Man wird Vörösmarty keineswegs gerecht, wenn man ihn als rein politischen Dichter sieht. Er tat sich als Shakespeare-Übersetzer ebenso hervor wie als romantischer Dramatiker und Lyriker. In einem seiner Meisterwerke, dem Drama "Csongor und Tünde", lässt Vörösmarty etwa den Protagonis-ten auf der Suche nach seinem Weg die Vergeblichkeit scheinbarer Interessen am eigenen Leib erfahren, in Form seiner Liebe zu der schönen Tünde und den damit verbundenen esoterischen Gefühlen. Eine Konstellation, die wieder an Vörösmartys Beziehung zu Etelka Perczel denken lässt.

Aber Politik war doch immer wieder ein wichtiger Schreibanlass. Eines der bedeutendsten Gedichte Vörösmartys, "Zuspruch" ("Szozat"), entstand 1836 aus Enttäuschung darüber, dass den ungarischen Reformideen mit autoritären Mitteln und bisweilen sogar mit Gewalt begegnet wurde: Es muss noch kommen, wird noch kommen / nach dem Dunkel eine gute Zeit / inbrünstig im Gebet darum / flehen hunderttausend Lippen. / Oder es wird kommen, wenn er kommen muss / der erhabene Tod / wo über Trauerfeiern / steht ein Land im Blut. Fast prophetisch und recht düster lesen sich heute diese Zeilen aus dem Gedicht, das zusammen mit Ferencz Kölcseys "Hymne" und Sandor Peto'fis "Nationallied" die literarische Dreieinigkeit der Revolution von 1848 bildete und von revolutionären Studenten als "ungarische Marseillaise" gesungen wurde.

1843 nimmt Vörösmartys Privatleben eine glückliche Wendung, als er die 24 Jahre jüngere Laura Csajaghy heiratet, aber die Töne seiner Lyrik werden im Gegensatz dazu zusehends bitterer, Phasen zaghafter Zuversicht können immer nur vorübergehend die Neigung zu Depressionen überwinden, die in der Erkenntnis gipfelt: "Es gibt keine Hoffnung!" ("Die Menschen"; 1846). Für Vörösmarty war der Kampf schon vor dem Ausbruch der Revolution verloren, "Freie Presse", "Kampflied" und ein paar andere pathetische Gedichte des Jahres 1848 sind noch ein letztes Aufbäumen vor dem Untergang. 1855 starb der Dichter nach langer Krankheit.

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