Richter Levesons Vorschlag

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Vorige Woche präsentierte Richter Brian Leveson in London seinen Report: Unter seinem Vorsitz hatte eine Kommission Englands Medien-Skandal um abgehörte Telefonate und gehackte E-Mails untersucht. Medienfreiheit und -kontrolle stehen auf dem Prüfstand.

Im Sommer 2011 wurde die britische Öffentlichkeit erschüttert: Journalisten hatten sich offenbar jahrelang unrechtmäßigen Zugriff auf Informationen über berühmte Personen, Kriegswitwen, Verbrechensopfer und andere verschafft. Sie waren angetrieben vom Verlangen nach Enthüllungen, nach Offenlegung der Privatsphäre - oder der Suche nach Ausübung politischer Macht. Die Vorwürfe betraften weiters versuchte Einflussnahme von Herausgebern auf Politiker.

Premierminister David Cameron beauftragte Richter Brian Leveson mit einer Untersuchungskommission. Sie sollte die Vorgänge und die ethischen Standards der britischen Presse prüfen. Acht Monate lang wurden Beweise und 650 Zeugenaussagen zusammengetragen, inklusive jener Camerons. Bei Kosten von 7,5 Millionen Euro lieferte Leveson jetzt einen 2000-Seiten-Bericht.

Die Untersuchung setzte sich mit Vorwürfen gegen britische Premierminister, darunter Tony Blair und Margaret Thatcher, auseinander. Diese sollen "Vereinbarungen“ mit der mächtigen Murdoch-Gruppe getroffen haben: Niemand wollte auf der falschen Seite der Berichterstattung stehen, wie es dem früheren Obmann der Labourpartei, Neil Kinnock, widerfuhr. Rupert Murdoch, der persönlich vor der Kommission auftrat, bestritt vehement, mit diesen Kontakten befasst gewesen zu sein. Transparency International jedoch erbrachte vor der Kommission den Beweis, dass die in wenigen Händen konzentrierte Berichterstattung für bestimmte Parteien sehr einseitig ausfiel. Außerdem seien ethische Standards einem Wettlauf um Informationen geopfert worden, ein Umstand, der Bestechung blühen ließ. Starjournalisten sagten aus, sie hätten um die zu enge Verflechtung von Presse und Politik gewusst, allerdings dazu keine Fragen gestellt. Schon bevor die Untersuchung begann, traf die Medienbranche ein Schock, als das Boulevardblatt News of the World, immerhin der Hauptbeschuldigte im Skandal um abgehörte Telefonate, abrupt geschlossen wurde.

Lordrichter zieht harte Konsequenzen

Leveson empfiehlt einen völlig unabhängigen Presserat, ohne Verleger, Journalisten oder Politiker. Dazu einen neuen, strikten Verhaltenskodex und empfindliche finanzielle Sanktionen für den Fall von Verstößen. Dies alles verankert in einem neuen Gesetz - im Mutterland der Meinungsfreiheit, in dem 1695 die Zensur abgeschafft worden war.

Für Anwälte der Pressefreiheit gehen diese Maßnahmen zu weit. Immerhin habe investigativer Journalismus diesen und den Spendenskandal aufgedeckt. Führende Konservative sträuben sich gegen die schärferen Pressegesetze und bevorzugen weiterhin die Selbstregulierung. Ihre liberalen Koalitionspartner hingegen sehen, wie Leveson, die Selbstregulierung der Presse als gescheitert an und möchten Gesetze, nicht um den Inhalt der Berichte zu kontrollieren, wohl aber um kriminelles und unethisches Verhalten zu verhindern. So scheint der nächste Streit innerhalb der Koalition programmiert.

Premierminister Cameron lehnt ein neues Gesetz ab, er appellierte aber an die Presse, die von Leveson genannten Prinzipien umzusetzen. Vizepremierminister Clegg hingegen unterstützt als Parteichef der Liberalen den Bericht inklusive der neuen Gesetze. Der Applaus von oppositionellen Labour-Abgeordenten war ihm sicher.

Der etwas glücklos agierende Presserat befindet sich gegenwärtig in einer "Übergangsphase“. Der Rat arbeitet auf freiwilliger Basis, er kann also keine finanziellen Sanktionen verhängen, sondern lediglich eine Entschuldigung ausverhandeln, die dann von der Zeitung abgedruckt werden soll. Vollends zur lahmen Ente wurde der Presserat, als einer seiner großen Mitglieder, die Express-Gruppe, die Mitgliedschaft kündigte. Durch seine Hilflosigkeit im Zuge des Telefonabhörskandals diskreditierte sich der Presserat vollständig: Das versetzte seiner bisherigen Form schließlich den Todesstoß. Damit bleibt unklar, ob die freiwillige Mitgliedschaft in einem neuen Presserat, wie von Leveson vorgeschlagen, funktionieren kann.

Die Suche nach einem funktionierenden System der Presseregulierung, welches einen Ausgleich zwischen Freiheit und ethischen Standards zu schaffen vermag, zieht sich schon seit dem Zweiten Weltkrieg hin. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.

Die Autorin, gebürtige Engländerin, ist Politologin und u. a. OSZE-Konsulentin für "Ethik in der Politik“

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