Richter vor dem Richterstuhl

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Die Theatergruppe "Das Tribunal" will unter den Berufskollegen einigen Staub aufwirbeln - und lässt zu diesem Zweck einen Richter seinem Grab entsteigen.

Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist." Gilt diese Bestimmung der Europäischen Menschenrechtskonvention auch im österreichischen Strafrecht? Natürlich, werden jetzt viele sagen. Der Grundsatz steht sogar in Verfassungsrang. 2008 soll er sogar ausdrücklich in die Österreichische Strafprozessordnung aufgenommen werden. Aber wie sieht die Praxis aus? Ist es oft nicht so, dass, sobald gegen eine verdächtige Person ermittelt wird, diese ihre Unschuld beweisen muss?

Ein Theaterstück, geschrieben von einem Richter, gespielt von Richtern, bestätigt diesen Eindruck. Prozessregeln, justizielle Erklärungsmuster und gerichtliche Denkkategorien sitzen auf der Anklagebank. Als Verhandlungssaal diente das Linzer Theater Phönix. Bereits zum dritten Mal hat sich die Schauspielgruppe "Das Tribunal" (siehe Kasten) formiert und verarbeitet in dem Stück "Die Unschuldsvermutung" ihren Arbeitsalltag publikumstauglich auf der Theaterbühne.

Polizisten als Scharfmacher

Das Stück spart nicht mit massiver Kritik an der eigenen Zunft und befasst sich kritisch mit den Berufsgruppen im gerichtlichen Umfeld: Polizisten als Scharfmacher, die nichts weiter wollen, als dringend Verdächtige zu präsentieren. Der Staatsanwalt als verlängerter Arm der Kripo, für den es nur Schuldige gibt. Der Verteidiger als überflüssiger und geduldeter Beisitzer ohne wirklichen Wert. Und vor allem: Der Richter als allmächtiger Herrscher über Wahrheit und Lüge, der die Wahrheitsfindung gepachtet hat.

"Was ist Wahrheit?"

Das Stück von Richter, Autor und Regisseur Wolfgang Aistleitner setzt sich selbstkritisch mit der täglichen Berufspraxis seiner Zunft auseinander. Der kritische Blick stellt in dem eineinhalb Stunden dauernden Stück Begriffe wie "Wahrheit", "faires Verfahren", "Rechtsschutz", "Unparteilichkeit" und eben die "Unschuldsvermutung" in Frage. "Das Stück überzeichnet natürlich die Realität, im Kern stimmt die Aussage aber", sagt Aistleitner. Er will eine breite Diskussion in Gang bringen, an deren Ende Gesetzesänderungen stehen sollen. Kritisch sieht er etwa den Rechtsschutz in schweren Strafsachen: "Je schwerer ein Delikt, desto weniger kann sich der Angeklagte wehren. Wenn einer wegen einer Ohrfeige verurteilt wird, kann er sich im Instanzenzug gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts wehren. Bei einem Mord kann er das nicht." Die Beweiswürdigung einer Senatsentscheidung lässt sich nach der Gesetzeslage nicht anfechten.

Ein weiterer Punkt seiner Kritik betrifft die Praxis vor Gericht: "Im gerichtlichen Alltag geht es kaum um juristische Fragen, das Entscheidende ist: Wem glaube ich und wem nicht." Diese Frage ist auch Kernstück des Theaterstücks. Es zeigt auf, dass sich Richter im Laufe der Zeit ihre persönlichen Richtlinien zusammenzimmern, wie sie die "Wahrheit" herausfinden. Belastet etwa ein Zeuge den Angeklagten, spricht er die Wahrheit, zieht er die belastende Aussage zurück, so lügt er. Auf der Bühne erkennt der Richter seine zweifelhaften Methoden der Wahrheitsfindung, doch für ihn ist es bereits zu spät...

Selbstmord statt Freispruch

Brillant in seiner Rolle zeigt sich der Vizepräsident des Landesgerichtes Linz, Karl Makovsky. Er entsteigt als toter Richter seinem Grab und erzählt seine Geschichte: Am Anfang steht ein Kunstraub, schon bald finden die Ermittler am Tatort "notdürftige" Spuren. Eine Verkettung unglücklicher Umstände führt ihn vom Richtersessel in die Fänge der Justiz. Nun sieht er sich als Verdächtiger mit jenen Prozessregeln und Denkmustern konfrontiert, die er selbst jahrelang im Gerichtssaal praktiziert hat. Einer Verurteilung entgeht er, aber nicht durch Freispruch - er schießt sich eine Kugel in den Kopf.

"Es ist ein düsteres Stück, das zum Nachdenken anregt. Das Stück wirbelt in der Kollegenschaft sicher einigen Staub auf", ist Makovsky überzeugt: "Aber es tut letztlich einem jeden Berufstand einmal gut, innezuhalten und zu hinterfragen, ob die Routineabläufe immer richtig sind."

Tribunal

"Das Tribunal" nennt sich eine Gruppe von schauspielbegeisterten oberösterreichischen Richtern und Staatsanwälten. Die Theatergruppe besteht seit 1999 und hat sich auf Bühnenstücke zur, über, und - wenn es sein muss - auch gegen die Justiz spezialisiert. Gründer der Gruppe ist Wolfgang Aistleitner, seit 1967 bei der Justiz, Richter des OLG Linz und bis Ende 2004 Vizepräsident der Österreichischen Richtervereinigung. Bei Tribunal gibt es keine Gagen, Einnahmen werden für Unkosten verwendet und gespendet.

Nächste Aufführung:

Montag, 4. April, 19.30 Uhr,

ARGEkultur Gelände, Salzburg

Im Herbst sind Vorstellungen im

Rabenhof Theater in Wien geplant.

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