Richtig tief entspannen

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Kann man Schlafphasen kürzen und wegrationalisieren? Der Weltschlaftag erinnert daran, wie wichtig ausreichender Schlaf gerade in der Leistungsgesellschaft ist.

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Kann man Schlafphasen kürzen und wegrationalisieren? Der Weltschlaftag erinnert daran, wie wichtig ausreichender Schlaf gerade in der Leistungsgesellschaft ist.

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Es ist lange nach Dienstschluss und Philipp Kofler sitzt noch immer im Büro. Das Projekt muss bis Ende der Woche fertig werden und er möchte nicht zugeben, dass die Zeit dafür eigentlich nicht reicht. Als er nach elf Stunden Arbeit endlich die Firma verlässt, geht er mit Freunden etwas trinken, um sich zu entspannen. Weil er vor lauter Stress wieder nicht einschlafen wird können, trinkt er ein paar Bier. Als er um 23 Uhr gehen will und sagt, dass er am nächsten Tag wieder früh raus muss, meint einer seiner Freunde: "Na geh, bleib noch da, schlafen kannst am Friedhof!"

Philipp Kofler ist ein fiktiver Charakter, doch sein Problem ist real. Es wird geschätzt, dass jeder vierte Mensch an Schlafstörungen leidet. Vielfach ist es die Leistungsgesellschaft, die uns immer mehr den Schlaf raubt. Der Weltschlaftag, der heuer am 17. März stattfindet, möchte deshalb auf die Bedeutung des Schlafs für unsere Gesundheit aufmerksam machen.

"Viele Menschen haben chronische Schlafstörungen, aber kaum jemand redet darüber, weil man Angst hat, seinen Job zu verlieren", weiß die Psychologin Brigitte Holzinger, die das Institut für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien leitet. Gemeinsam mit dem Psychologen und Schlafforscher Gerhard Klösch von der Medizinischen Universität Wien hat sie deshalb das Schlafcoaching entwickelt, mit dem Betroffene richtiges Schlafverhalten lernen sollen.

Schlafmangel durch Internetsucht

Natürlich gibt es auch medizinsche Gründe für Schlafstörungen, wie Schnarchen, schwere Krankheiten, chronische Schmerzen oder Depressionen. Zu einem zunehmenden Problem wird jedoch der gesellschaftliche Druck, noch mehr zu arbeiten, den Tag noch intensiver zu nützen, noch mehr Aktivitäten in die 24 Stunden hineinzustopfen. Irgendwann kann man dann nur mehr beim Schlaf sparen.

Dazu kommt die allumfassende Präsenz elektronischer Medien. Wenn man bis kurz vor dem Zu- Bett-Gehen noch am Computer oder Handy liest oder spielt, verzögert das blaue Licht des Bildschirms die Einschlafzeit um 30 bis 45 Minuten, gibt Klösch zu bedenken. "Wenn wir dadurch jeden Tag eine Stunde weniger Schlaf bekommen, haben wir nach einiger Zeit eindeutig ein Schlafdefizit." Für Kinder und Jugendliche sei das besonders schlecht, weil das Wachstumshormon Somatropin im Schlaf ausgeschüttet wird, warnt Holzinger. Es sei noch nicht klar, wie sich das langfristig auswirke, ergänzt ihr Kollege, aber es gebe bereits Fälle, wo Jugendliche die Schule nicht schaffen, weil sie -süchtig nach dem Internet - zu wenig schlafen und tagsüber ständig müde sind. Eine Studie habe außerdem gezeigt, dass Schlafmangel bei Jugendlichen das Risiko zu anti-sozialem Verhalten um mehr als das Vierfache erhöhe.

In der Leistungsgesellschaft gilt es vielfach als cool oder als ein Zeichen von Stärke, wenn man mit wenig Schlaf auskommt. Der Kernschlaf dauere nur etwas mehr als vier Stunden, sagt Klösch, aber das bedeute nicht, dass das ausreichend sei. Sechs bis sieben Stunden beträgt der durchschnittliche Schlafbedarf, doch es gibt auch Menschen, die zehn Stunden pro Nacht schlafen müssen, um ausreichend erholt zu sein. Frauen brauchen meist etwas mehr Schlaf als Männer. Wer ständig gegen seinen biologischen Schlafbedarf lebt, riskiert gesundheitliche Probleme: Man wird anfälliger für Infektionskrankheiten, weniger tolerant gegenüber Stress und aggressiver. Die Erforschung von Schicht- und Nachtarbeit zeigt außerdem, dass ausreichender, aber unregelmäßiger Schlaf nach zwanzig Jahren zu einem erhöhten Risiko für bestimmte Krebsarten führt. "Wir sind von der Evolution her darauf ausgerichtet, in der Nacht zu schlafen, bemerkt Klösch. "Der Körper braucht das zur Erholung."

Zusätzlich zum Arbeits- und Freizeitstress stören aber Licht und Lärm dieses Programm. Die Produktion das Schlafhormons Melatonin setzt erst ein, wenn wir die Augen schließen und es dunkel ist. In Städten ist es aber auch nachts sehr hell, was den Schlafrhythmus stören kann. Das Gleiche gilt für Lärm. Auch wenn man glaubt, dass man sich an den Lärm der Straße oder des Lokals gegenüber gewöhnt hat, wird der Schlaf unbewusst gestört und man ist morgens gerädert, obwohl man acht Stunden scheinbar tief geschlafen hat.

"Wir versuchen immer wieder, ein Bewusstsein dafür zu schaffen", sagt Schlafforscher Klösch. Wichtig für gesunden Schlaf gemäß den individuellen Bedürfnissen wären auch mehr Flexibilität in der Arbeitswelt und spätere Beginnzeiten für Schulen, fügt Brigitte Holzinger an. Viel können die Menschen aber auch selbst tun, denn gesundes Schlafen kann man lernen. "Eltern können ihren Kindern vermitteln, dass Schlafen etwas Schönes ist, und keine Strafe", rät Klösch. Dabei sei es wichtig, dass die Eltern auch selbst einen gesunden Schlafrhythmus pflegen, weil die Kinder sonst falsches Schlafverhalten lernen. Am besten wäre es, Schlafedukation in den Schulen anzubieten, etwa im Rahmen des Biologieunterrichts, wünscht sich der Schlafexperte.

Der Wert des kurzen Nickerchens

Für alle Altersgruppen gilt, dass der Schlaf vorzubereiten ist: Eineinhalb bis zwei Stunden vor dem Zu-Bett-Gehen sollte man den Tag abschließen, nicht mehr am Bildschirm sitzen und sein ganz persönliches Einschlafritual starten: ein Buch lesen, Musik hören, einen leichten Spaziergang machen, einen Tee trinken - Hauptsache, die Tätigkeit ist entspannend und man fühlt sich dabei wohl.

Durch das Erlernen des richtigen Schlafverhaltens könne man viele Schlafstörungen beheben, ohne Medikamente nehmen zu müssen, ist die Erfahrung der Gestalttherapeutin Brigitte Holzinger. Sie vermittelt dafür Entspannungstechniken wie Autogenes Training und Selbsthypnose oder auch die Technik des luziden Träumens (Klarträumens), mit der man seine Träume mehr genießen und Albträumen den Schrecken nehmen kann.

Albträume können durch Krankheiten oder traumatische Erlebnisse ausgelöst werden, aber auch durch ständige Sorgen, Stress und Versagensängste. "Das Hintergrundrauschen hört heutzutage nicht auf", sagt Holzinger, "aber man kann mehr leisten, wenn man ausgeschlafen ist" - und nicht, wenn man am Schlaf spart. Die beiden Schlafforscher vermitteln deshalb auch in Firmen Schlafcoaching und regen an, einen Ruheraum für ein kurzes Nickerchen, den "Powernap", einzurichten. Nach maximal 25 Minuten Dösen am frühen Nachmittag ist man wieder putzmunter und kann konzentriert weiterarbeiten.

"Powernapping" falsch verstanden haben jene, die behaupten, der Mensch brauche gar keinen durchgehenden Schlaf. "Sleep is for the weak" - Schlaf ist etwas für Schwache, heißt es auf einer Website, die den polyphasischen Schlaf propagiert. Dabei soll man mit 20 Minuten Schlaf alle vier Stunden pro Tag auskommen, das macht insgesamt nur zwei Stunden Schlaf pro 24 Stunden. Toll, so kann man noch mehr leisten, ist wohl die Idee dahinter, und entsprechend nennt sich dieser Trend im Amerikanischen "Uberman", also Übermensch.

Die Schlafforscher raten davon dringend ab, denn "guter Schlaf ist Nahrung für Körper und Geist", so Brigitte Holzinger. Manchmal merken wir das erst, wenn wir im Urlaub auf der Alm, ohne Licht und Lärmverschmutzung, ohne Wecker und ohne Internet, buchstäblich mit den Hühnern schlafen gehen und wieder aufstehen - und am frühen Morgen plötzlich Bäume ausreißen könnten, statt mürrisch ins Kaffeehäferl zu brummen. Der Slogan des heurigen Weltschlaftags heißt demgemäß: "Tiefer Schlaf nährt das Leben."

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