Rickeracke! Rickeracke!

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Vor 100 Jahren ist Wilhelm Busch gestorben. Sein Werk ist einzigartig - und umstritten.

Viel Grünfutter, ein Bißl Liebe, dann ist's für diesmal vorbei mit ihm." Lapidar und humorvoll-pessimistisch beschreibt Wilhelm Busch im Frühjahr 1907 die kurze Lebensdauer eines Maikäfers. Ein halbes Jahr später, am 9. Jänner 1908, stirbt der deutsche Ur-Vater des Comics selbst. Zurückgezogen im Haus seines Enkels Otto in der Nähe von Göttingen.

Der 100-jährige Gedenktag und das Jubiläum im vorigen Frühjahr - Busch wäre am 15. April 175 Jahre geworden - ist Grund genug für eine Reihe von Ereignissen. So hat man in Deutschland eine Zehn-Euro-Silbermünze mit Buschs Konterfei herausgegeben und die Stadt Hannover erklärte gleich das gesamte vorige Jahr zum Busch-Jahr. Einige Monate hindurch schmückten großformatig aufgeblasene Busch-Zeichnungen den öffentlichen Raum.

Zugleich versuchen drei neue Bücher, dem rätselhaften Eigenbrödler und ewigen Junggesellen auf die Spur zu kommen: Gert Ueding mit seinem fundierten, psychoanalytisch ausgerichteten und unübertroffenen Busch-Klassiker (Erstauflage 1977), Gudrun Schury mit einer flüssig lesbaren und kenntnisreichen, Eva Weissweiler mit einer pointierten und kurzweiligen Biografie. Ganz zu schweigen von zahlreichen Ausstellungen in Deutschland, die dem Publikum unbekannte Seiten des Bild-Dichters näherbringen wollen.

150 mal Max und Moritz

Kaum jemand, der Wilhelm Busch nicht kennt. Der bei diesem Namen nicht gleich an eines der beliebtesten Bilderbücher der Welt - an die Bubenstreiche von "Max und Moritz" (1865) denkt. Der 1832 in Wiedensahl bei Hannover geborene erste Sohn eines protestantischen Krämers hat mit seinen etwa fünfzig Bildergeschichten, in denen Text und Bild sich auf kongeniale Weise zu einem Ganzen verbinden, bereits zu Lebzeiten weltweite Anerkennung gefunden - "Max und Moritz" wurde in 150 Sprachen und Dialekte übersetzt. Buschs gereimte Zweizeiler wie "Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, was man lässt" oder "Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr" gehören zum kollektiven Zitatenschatz.

Weit weniger bekannt ist, dass der kreative Bildergeschichtenerfinder, der niemand Geringeren als Walt Disney nachhaltig beeinflusst hat, auch ein hervorragender Maler war. Er hinterließ ein eindrucksvolles bildkünstlerisches Œuvre, das über eintausend Gemälde und zweitausend Zeichnungen umfasst. Seine nahezu abstrakten, bewusst fragmentarisch gehaltenen Landschaftsbilder stehen an der Schwelle zur Moderne, stoßen in Bereiche des Expressionismus vor. Nicht zufällig haben Paul Klee und August Macke den experimentellen Charakter der von Busch geringschätzig "als kleine Chosen" bezeichneten Ölstudien bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts bewundert.

Kaum populär sind auch Buschs literarische Schriften - seine phantastischen Prosaerzählungen "Eduards Traum (1891) und "Der Schmetterling" (1895), vor allem sein Lyrikband "Kritik des Herzens" (1874).

Busch gehört nicht nur zu den beliebtesten deutschen Figuren des 19. Jahrhunderts, sondern auch zu den umstrittensten. Besonders der Vorwurf, er sei ein reaktionärer Frauenfeind und Antisemit gewesen, steht seit Jahren im Raum. Eine Anschuldigung, die nur schwer auszuräumen ist, sieht man sich etwa seine Beschreibungen von Juden im Bilderepos "Plisch und Plum" (1882) an: "Kurz die Hose, lang der Rock, / Krumm die Nase und der Stock, / Augen schwarz und Seele grau, / Hut nach hinten, Miene schlau." Golo Mann hat Busch vom Antisemitismus-Vorwurf freisprechen wollen, indem er argumentierte, der Antisemit sei einer von Buschs Spottfiguren, nicht Busch selbst. Unleugbar ist jedenfalls, dass sich in Buschs Werk alltagssprachlicher Antisemitismus spiegelt, dass seine Verse, selbst wenn es ihm darum gegangen sein sollte, Vorurteile gegen Juden zu entlarven, Nährboden für rassistische Ressentiments bieten.

Antisemit & Frauenfeind?

Eine ähnliche Argumentation wie Golo Mann verfolgt auch die Biografin Eva Weissweiler in Bezug auf die "Frauenfrage", indem sie meint, die Geschichte der "Frommen Helene" (1871) sei nicht wie meist frauenfeindlich, sondern im Gegenteil auch als "Plädoyer für ein anderes, würdiges Frauenbild" zu lesen.

Wer war nun Wilhelm Busch wirklich? Ein kritischer Spötter? Ein Wegbereiter der Psychoanalyse? Ein gläubiger Protestant oder ein Atheist? Ein Pazifist und Tierfreund? Ein unterschwelliger Sadist oder ein Kritiker von autoritären Erziehungsmethoden? Wir werden es nie genau wissen. Wilhelm Busch regt bis heute zu Auseinandersetzungen an, weil Person und Werk trotz aller Entschlüsselungsversuche ambivalent, rätselhaft und vieldeutig bleiben.

"Von mir über mich"

Über Buschs Leben, seine möglichen Liebesbeziehungen wissen wir herzlich wenig. "Kein Ding sieht so aus, wie es ist. Am wenigsten der Mensch, dieser lederne Sack voller Kniffe und Pfiffe", so der Schopenhauer-Anhänger und Darwin-Leser bekannt kryptisch in seiner Autobiografie "Von mir über mich" (1893).

Geboren als Kind einer ärmlichen, kinderreichen Familie wurde er bereits jung zur Versorgung und einer besseren Ausbildung wegen zum Onkel verschickt. Nach einem abgebrochenen Maschinenbau-Studium verfolgt er seine malerischen Interessen - besucht Kunstakademien in Düsseldorf, Antwerpen und München. Nach erfolglosen Jahren als Maler reüssiert er als Karikaturist und Zeichner-Dichter, gelangt schließlich zu Reichtum und Weltruhm. Geheiratet hat Busch, der zeitlebens ein leidenschaftlicher Raucher und Alkoholfreund war, nie - zurückgezogen beendete er als längst pensionierter "Onkel" seinen Lebensabend unspektakulär im Kreise seiner Familie.

Vielmehr als in der Realität hat Wilhelm Busch sich im Reich der Phantasie - in der Welt der Bücher und Bilder aufgehalten. Sein "Papiertheater", wie er seine Bildergeschichten nannte, ist faszinierend, weil es ungemein viele Lesarten ermöglicht, weil es sämtliche Ambivalenzen und Widersprüche des menschlichen Daseins in sich vereint. Es ist gleichermaßen komisch wie tragisch, banal wie tiefsinnig, erotisch wie vergeistigt - es spiegelt die Abgründe, aber auch die Höhenflüge, zu denen Menschen fähig sind.

So unkonventionell Busch auch als Maler war, so nachdenklich seine tiefschwarzen, oft surreal anmutenden Texte stimmen, Buschs weltgeschichtliche Bedeutung liegt zweifelsohne im erfinderischen Umgang mit dem Medium Bildergeschichte. Seinen Anfang nahm alles 1858. Nachdem er sich einige Jahre erfolglos als bildender Künstler versucht hatte, begann Busch, Karikaturen für die Kneipzeitung "Der Beiwagen" des Vereins "Jung München" zu zeichnen.

Der Verleger Caspar Braun war von diesen Karikaturen so angetan, dass er den mittellosen Künstler für seine "Fliegenden Blätter" und den "Münchner Bilderbogen engagierte". Zunächst schreibt Wilhelm Busch satirisch-pessimistische Gedichte, zeichnet reine Zeichnungsfolgen - bis er langsam beginnt, das Genre der Bildergeschichte zu entwickeln, in der die dynamisch-skizzenartigen Zeichnungen mit den kritisch-humorvollen Verszeilen eine untrennbare Einheit eingehen. Wilhelm Busch selbst nannte es "in Bildern schreiben". Erstmals legte Busch diese Gattung 1861 fest, als er mit dem "Rabennest" eine Bildergeschichte mit gereimten Zweizeilern zu jedem Motiv publizierte; mit "Max und Moritz" erhob er diese Innovation vier Jahre später zur Buchform.

Wilhelm Buschs Comic-Vorläufer faszinieren, weil sie gelesen und gesehen werden wollen. Erst durch die Verbindung aus Bildmotiv und Sprachwitz ergibt sich die Pointe. Busch ist immer vom Bild ausgegangen, das er zuerst gezeichnet hat, um anschließend geeignete Verse dazu zu erfinden.

Zeichentrickfilm-Vorläufer

Als Bildergeschichtenzeichner und Zeichentrickfilm-Vorläufer ist Busch so virtuos, weil er Bewegungsmomente unnachahmlich zeichnerisch festhält. Auch weil er die Handlung in Einzelsituationen zerlegt, Perspektivenwechsel einführt und wie bei einem Film mitunter Details überdimensional zeigt, um dann wieder eine Totale zu bringen. Mit sprachlicher Lautmalerei wie "Rickeracke! Rickeracke! Geht die Mühle mit Geknacke" erweist er sich als Ahne experimenteller Dichtung, auch als Begründer des Comic-Jargons.

Neben den medialen Aspekten sind es die ernsthaften Inhalte und Themen, verpackt in den Mantel des Humors, die seine Serien bis heute so betrachtenswert machen: die Zerstörung einer biedermeierlichen Alltagsidylle, das humorvolle Aufzeigen menschlicher Schwächen und Makel und die Desavouierung gesellschaftlicher Scheinmoral. Busch selbst blieb trotz seines Erfolgs stets ein Meister des Understatements, der sich in Bezug auf seine Person lieber im Schweigen übte: "Ich bin daher, statt des Gewinsels, mehr für die stille Welt des Pinsels."

Bücher:

ICH WOLLT, ICH WÄR EIN ESKIMO

Das Leben des Wilhelm Busch

Biographie von Gudrun Schury

Aufbau Verlag, Berlin 2007 416 S., geb., € 25,70

WILHELM BUSCH

Das 19. Jahrhundert en miniature

Von Gert Ueding. Erweiterte und revidierte Neuausgabe, Insel Verlag, Frankfurt a. M. / Leipzig 2007 432 S., geb., € 27,60

WILHELM BUSCH

Wie wohl ist dem, der dann und wann sich etwas Schönes dichten kann.

Ausgewählte Werke

Hrsg. von Gert Ueding. Reclam Verlag, Stuttgart 2007, 649 S., kart., € 10,20

WILHELM BUSCH

Der lachende Pessimist

Eine Biographie von Eva Weissweiler Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2007, 384 S., geb., € 20,50

Ausstellungen:

Herzenspein und Nasenschmerz Ludwig Galerie Schloss Oberhausen, bis 24. 2.

Soviel Busch wie nie

Schleswig-Holsteinsches Landesmuseum, Schleswig, bis 27. 4.

Wilhelm Busch: Erotisch, komisch, gnadenlos

Wilhelm-Busch-Museum, Hannover, bis 9. 10.

Wilhelm Busch und die Folgen Stadtmuseum Erlangen, 4. 5.-3. 8.

Carl Spitzweg und Wilhelm Busch Museum Georg Schäfer, Schweinfurt, 29. 6.-2. 11.

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