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Warum Deutschland Weltmeister (hätte) werden soll(en).

Was gab es nicht alles an Debatten über die deutsche "Normalität"! Der frühere Bundespräsident Roman Herzog etwa hatte gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit dem Wort "unverkrampft" aufhorchen lassen: Solcherart wünschte er sich das Verhältnis seines Landes zu sich selbst und seinen Partnern in Europa und der Welt. Die Irritationen blieben nicht aus, es rauschte in den Feuilletons, die Intelligenz trug einschlägige Bedenken: Deutschland - unverkrampft!?

Heute, zwölf Jahre später, staunen alle und Deutschland über sich selbst, wie "unverkrampft" (auch wenn es nicht so genannt wird) das Land sich als Gastgeber der Fußball-WM präsentiert und, jawohl, auch die bisherigen sportlichen Erfolge zu feiern versteht. Nun ist es freilich nicht so, dass mit dem 9. Juni ein neues Deutschland vom Himmel gefallen wäre. Das Deutschland des Frühsommers 2006 spiegelt vielmehr eine - wenn auch unter Mühen und Selbstzweifeln errungene - Erfolgsgeschichte wieder: von der Wiederaufbauzeit und Westbindung über die Ostpolitik bis hin zur unzweideutigen Einbindung des Landes in das größere Europa, als dessen Motor (gemeinsam mit Frankreich) man sich lange verstand, und zur Wiedervereinigung; dies alles vor dem Hintergrund und parallel zu einer fortwährenden gründlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, insbesondere den Gräueln der NS-Zeit.

Jetzt zeigt sich Deutschland also von seinen besten Seiten - und alle spüren: diese WM tut dem Land gut. Das Bild vom Freudensalto des deutschen Kickers Miroslav Klose ging um die Welt - und der Karikaturist Gerhard Haderer hat diesem Motiv feinsinniger Weise eine grundsätzliche Bedeutung zugewiesen, indem er Angela Merkel in Kloses Aktion zeichnete: die Kanzlerin bei der Rolle vorwärts in der Luft.

Eben die Rolle vorwärts fehlt Deutschland ja offensichtlich seit geraumer Zeit. Nochmals sei an Roman Herzog erinnert, der in seiner viel beachteten Rede im Berliner Hotel Adlon einen "Ruck", der durch das Land gehen müsse, gefordert hatte. In den letzten Jahren der Regierung Kohl sei der Reformstau übermächtig geworden, hieß es später; zuletzt scheiterte Schröders rot-grüne Regierung an den eigenen Vorgaben bezüglich einer Wende auf dem Arbeitsmarkt. Und eine große Koalition, wie sie nun amtiert, gilt per se nicht eben als "ruckverdächtig".

Kommt nun aber doch - im Sog der WM-Erfolge - die Rolle vorwärts? Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist Deutschland möglicherweise Italien im Semifinale unterlegen und damit ausgeschieden. Das bedeutet natürlich keine Katastrophe, wie umgekehrt ein Einzug ins Finale oder gar der Weltmeistertitel nicht die Probleme des Landes lösen kann. Auch hier gilt, dass dem Rausch die Ernüchterung folgt. Aber wenn es stimmt, dass "weiche" Faktoren in Politik und Wirtschaft letztlich das Entscheidende sind, dass eine positive Grundstimmung eine unerlässliche Bedingung für Prosperität darstellt, dass die Wurzeln von Erfolg oder Misserfolg vor allem konkreten Handeln im Atmosphärischen liegen - dann sollte die Relevanz von Deutschlands WM-Performance nicht zu gering veranschlagt werden.

Ein Sieg Deutschlands wäre aber auch ein Gewinn für Europa. Denn im Unterschied zu früheren Epochen kann man heute ganz "unverkrampft" sagen: Wenn es Deutschland gut geht, ist das auch für Europa gut; ein starkes Deutschland ist heute nicht nur keine Bedrohung sondern ein wesentlicher Beitrag zu einem starken Europa. Von seiner geographischen Lage, seiner Größe, von seiner wirtschaftlichen, geistigen, kulturellen Potenz her kommt Deutschland eine Schlüsselrolle bei der europäischen Integration zu. Zuversicht und Selbstvertrauen wären freilich dringend notwendig, um die eigenen Potenzialitäten zur Entfaltung zu bringen.

Deswegen wollen wir davon ausgehen, dass Deutschland bei Erscheinen dieser Ausgabe ins Endspiel aufgestiegen ist; deswegen wollen wir den Klinsmännern wünschen, dass sie auch am kommenden Sonntag Erfolg haben: damit das ganze Land und mit ihm Europa zur Rolle vorwärts ansetzen kann. Deutschland soll Weltmeister werden, damit es wieder Europameister wird - und Europa solcherart ein gutes Stück voranbringt.

rudolf.mitloehner@furche.at

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