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Offene Fragen vor der umstrittenen Seligsprechung des letzten Kaisers von Österreich.

Kaiser Karl habe anno 1918 nur auf die Regierungsgeschäfte verzichtet, er habe nicht abgedankt. Das ist nur eine der historischen und politischen Streitfragen, die rund um den letzten Kaiser Österreichs aufs Tapet kommen: Zur Abdankung habe Karl nicht das Recht gehabt, meint sein Sohn Otto in der Kaiser-Karl-Biografie von Eva Demmerle (Seite 2 dieser Furche): "Als Monarch hat er einen Eid auf die Verfassung geschworen und musste sich daran halten." Die Verfassung, die Karl als König von Ungarn 1916 beeidet hatte, war undemokratisch, schloss den Großteil der Ungarn und erst recht der anderen Nationalitäten im Lande von politischer Mitwirkung aus und war - nach heutigen Standards - menschenrechtswidrig.

Die geschilderte Argumentationslinie zeigt, wie schwer sich heutzutage eine Gedankenwelt nachvollziehen lässt, die noch kein Jahrhundert weit entfernt ist: Niemand käme heute auf die Idee, einen Schwur über die Freiheits- und die Menschenrechte zu stellen. Niemand sollte sich aber gleichzeitig anmaßen, über die Gedankenwelt von vor 100 Jahren zu richten.

Das bedeutet wiederum nicht, dass die alten Denkweisen heute zum Vorbild taugen: Doch nichts anderes mutet die katholische Kirchenleitung ihren Gläubigen zu, wenn sie kommenden Sonntag Kaiser Karl zur Ehre der Altäre erhebt. Es stimmt natürlich, dass der letzte Monarch des Landes persönliche Tragik erlitt, dass er fromm und gläubig war, dass er sich - trotz Aussichts- und Erfolglosigkeit - um den Frieden mühte.

Aber was für ein Vorbild soll Karl für heute sein? Dass man trotz Scheiterns ein guter Christ sein kann? Solche Vorbildwirkung ist zweifelsohne möglich - aber auch da muss der ganze Mensch in den Blick kommen. Historiker Manfried Rauchensteiner bringt es im Furche-Gespräch (S. 3) auf den Punkt: Man kann den "religiösen" Menschen nicht vom "historischen" trennen. Doch genau das wird von den Lobbyisten der Seligsprechung Karls - und nun auch von der Kirche, die diese Seligsprechung vollzieht - suggeriert. Nein, auch der öffentliche, politische, militärische Kaiser Karl ist in den Blick zu nehmen, nicht nur der private, der fromme.

Wegen dieses Blicks kann beispielsweise nicht akzeptiert werden, dass ein Eid über der Menschenwürde steht - selbst wenn das historisch im Zeitgeist gelegen sein mag. Auch das Gottesgnadentum, dem das Haus Habsburg Jahrhunderte lang anhing, und von dem Kaiser Karl selbst durchdrungen war, ist heute obsolet. Oder soll via Seligsprechung das katholische Volk darauf hingetrimmt werden, dass dies doch eine christlichere Gesellschaftsform darstellt als die politischen Systeme, die sich seit dem Untergang der absoluten Monarchien etabliert haben? Wie immer es konkret zu dieser Seligsprechung gekommen ist: Es fällt auf, dass der derzeitige amtskirchliche Zeitgeist durchaus ähnlich argumentiert wie weiland Kaiser Karl respektive das Haus Habsburg. Auch die römische Kirchenspitze, die - in weltlich-politischer Kategorie gedacht - eine sich auf Gott berufende absolute Monarchie darstellt, verwehrt seit Jahr und Tag Reformen mit dem Argument auf die Jahrhunderte alte Tradition. Kaum zufällig, dass die Anhänger des letzten Vertreters der guten alten Kaiserzeit mit dem restaurativen Kirchenflügel d'accord gehen.

Papst Johannes Paul II. hat so viele Selige und Heilige kreiert wie kein anderer in der Kirchengeschichte zuvor. Dabei hat die katholische Kirche auch einiges Umstrittene ausgehalten: Schon im September 2000 wurde bekanntlich Pius IX. zum Seligen - jener Papst, der alles verdammte, was modernen Zeitgenossen "heilig" ist: Demokratie, Religionsfreiheit etc. Auch vor vier Jahren war zu hören, man müsse die politischen Unsäglichkeiten dieses Papstes aus seiner Zeit heraus verstehen, seine persönliche Frömmigkeit sei untadelig gewesen. Pius IX. wurde also selig gesprochen, das Bild, das die katholische Kirche damit bot, war verheerend - der Schaden hielt sich dennoch in Grenzen. Bei Kaiser Karl wird das kaum anders aussehen.

Könnte es aber sein, dass sich heutige Anhänger Kaiser Karls mit der Seligsprechung auch historische Rehabilitation erhoffen? Mag sein, dass das geschichtliche Karl-Bild ja nicht frei von Verzerrungen ist. Daher: alle Möglichkeiten den Historikern, dieses Bild zurechtzurücken. Aber das ist etwas ganz anderes, als aus einem unverstandenen Kaiser ein spirituelles Vorbild zu machen.

otto.friedrich@furche.at

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