Roma-Leben: Regeln, strenge Ehrbegriffe, keine Romantik

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Miso Nikolic zeichnet die Lebenslinien einer Romafamilie zwischen Serbien und Wien.

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Miso Nikolic zeichnet die Lebenslinien einer Romafamilie zwischen Serbien und Wien.

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Leben im Pferdewagen, Wahrsagen, Musizieren, Spielen, Ehre und Blutrache: Eckpunkte des Lebens von Miso Nikolic, geboren in einem Wagen, am Straßenrand, zwischen zwei Jahrmärkten im serbischen Pozarevac. Der Vater: Pferdehändler und Schießbudenbesitzer. Die Schwestern - zu Taschendiebinnen ausgebildet. Von Romantik keine Spur.

In den letzten Jahren sind einige Lebensgeschichten von Roma und Sinti erschienen. Um Vorurteile abbauen zu helfen, bedarf es sicherlich noch mehr und nicht nur literarischer Zeugnisse, die vor allem dann Wirkung zeigen können, wenn sie, wie Miso Nikolic, das Leben der fahrenden Menschen ungeschminkt darstellen.

Die Gesetze und Ehrbegriffe der Roma und Sinti sind schwer zu verstehen. Da jagen Brüder den Mann, der ihre Schwester geliebt hat und mit ihr weggezogen ist, da verspielt Misos Vater sein ganzes Hab und Gut, den Wagen mitsamt Decken und Polstern, da besucht die 16jährige Gina eine Hochzeit, ohne dem Vater etwas zu sagen und wird am nächsten Tag angebunden, ausgepeitscht und muß fünf Kilometer neben dem Wagen herlaufen: "So prägte er ihr ein, das nächste Mal vorher Bescheid zu sagen, wenn sie wohin gehen möchte."

Die nüchterne Erzählweise des Autors sagt auch: So sind die Fakten, deuten und erklären kann ich nicht, das ist nicht meine Aufgabe.

Durch einen Zufall entgeht die Familie 1941 der Verhaftung durch die Deutschen. Der junge Miso hat für die Schule nur ein Heft, das er unter dem Hemd trägt. Seine Gabe, sich Gedichte auswendig zu merken, wird vom Vater mit Drill perfektioniert. Nach dem Vortragen eines 47seitigen Gedichts bricht er ohnmächtig zusammen. Der Krieg geht zu Ende. Kurz lebt die Familie in einem kleinen Haus, Miso arbeitet als angelernter Maler am Bau und kommt Anfang der sechziger Jahre nach Floridsdorf, wo auf dem Ringelseeplatz ein Verwandter in einem Wohnwagen lebt. Dort lernt er Gitarre spielen und trifft seine Frau Ruzsa, mit der er bis heute in der Stadt lebt und das Familienensemble Nikolic-Lakatos leitet. Das aber ist eine andere Geschichte.

"UND DANN ZOGEN WIR WEITER" Lebenslinien einer Romafamilie von Miso Nikolic, mit einem Vorwort von Mariella Mehr Edition Niemandsland, Drava Verlag, Klagenfurt/Celovec 1997 144 Seiten, brosch., öS 197,-

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