Rossini und die sexuelle Revolution

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Komödiantisches Premierenwochenende: Rossinis letzte komische Oper, "Le Comte Ory“, Theater an der Wien, Smetanas Erfolgsstück "Die verkaufte Braut“ in der Volksoper.

Was haben Rossini und die sexuelle Revolution gemeinsam? Für das niederländisch-französische Regiepaar Moshe Leiser und Patrice Caurier ist es der Ansatzpunkt für ihre an Pointen reiche Deutung von Rossinis vorletzter Oper "Le Comte Ory“. Im Original spielt die Handlung um 1250, erzählt von Männern, die auszogen Jerusalem zu befreien, während ihre Frauen im Schloss Formoutiers sehnsüchtig ihrer Heimkehr harren. Graf Ory, als Eremit verkleidet, will für Abwechslung sorgen. Er hat es auf die Schlossherrin, Comtesse Adèle de Formoutiers, abgesehen, seine ebenso tollkühnen Begleiter haben die übrigen Damen im Visier, auch wenn sich beides schließlich als Flop herausstellen wird.

Ein Thema von gestern? Nicht für das Regieteam, das mit seiner originell-nachdenklichen Inszenierung (in französischer Sprache mit deutschen Untertiteln) bereits an der Zürcher Oper erfolgreich war. Nach ihrer Lesart geht es bei diesem Rossini - meist hinter sprühendem Witz versteckt - um nichts Ernsteres als Sexualität und sexuelle Frustration. Deswegen verlegen sie die Handlung in die jüngere Vergangenheit: das prüde Frankreich vor 1968. Entsprechend ziert im Salon der Gräfin ein Porträt General de Gaulles die Wände.

Doppelbödige Charaktere

Auch sonst ist man in dieser Inszene auf Schritt und Tritt mit Erinnerungen an die 1960er Jahre konfrontiert: wenn Comte Ory sein scheinbares Eremitenleben im damals modischen Wohnwagen mit tigerfellbezogenem Innenleben führt, Gräfin Adèle im legendären Citroën 2CV vorfährt, die Choristinnen im typischen Outfit dieser Jahre auftreten. Dass Ory einen Blinden mimt, der sehr wohl immer weiß, was um ihn herum vorgeht, die Comtesse sich bei allem Bemühen um Treue von den Nachstellungen Orys sichtlich geschmeichelt fühlt, dabei auch noch große Sympathie für den Pagen ihres Mannes, Isolier, erkennen lässt, macht zudem eindrucksvoll die Doppelbödigkeit der Charaktere deutlich. Köstlich, wenn Orys Mitstreiter in Nonnenverkleidung bei Donnergrollen Eintritt in den sicheren Hafen des Schlosses, in Wirklichkeit Abenteuer mit seinen weiblichen Insassen, begehren. Vollends skurril wird es am Schluss, wenn sich die Frauen auf ihre vom Krieg schwer zugerichteten Männer werfen.

Ein vordergründig witziges Tableau, das sich ebenso als Anklage gegen jeglichen Krieg lesen lässt. Zwischen Komik und Ernst changiert auch Rossinis (zu einem großen Teil seiner Oper "Il viaggio a Reims“ entlehnte) Musik. Sie fand im subtil agierenden Ensemble Matheus unter Jean-Christophe Spinosi engagierte Sachwalter, die auch den ideal geführten Singschauspielern - voran die für Cecilia Bartoli eingesprungene, koloraturenbrillante südafrikanische Sopranistin Pretty Yende (Adèle), der stimmgewaltige Lawrence Brownlee (Comte Ory), die burschikose, klar artikulierende Regula Mühlemann (Isolier) und die mit viel Eigenironie aufwartende Liliana Nikiteanu (Adèles Gesellschafterin Ragonde) - einen idealen Teppich legten. Gewohnt hochkarätig der Arnold Schoenberg Chor.

Wie sich die Bilder gleichen: Näher an die Gegenwart führt auch Regisseur Helmut Baumann das Geschehen von Smetanas "Verkaufter Braut“ in der Volksoper. Er versetzte diese Parabel vom verlorenen Sohn (auch das versteckt sich hinter diesem Sujet) von der Mitte des 19. Jahrhunderts an den Beginn des zwanzigsten. Schließlich kam es erst hier zum Aufbruch jener bäuerlichen Traditionen, die hier behandelt werden.

Mathias Fischer-Dieskau, der damit schon die vierte Volksopern-Produktion ausstattet, hat sich als Einheitsbühnenbild eine weiße Scheune einfallen lassen. Ein, wie sich bald zeigt, idealer Rahmen für die einzelnen Orte der Handlung, in dem auch die Protagonisten sich sehr natürlich bewegen können. Nicht zuletzt Martin Winkler nutzt diese Chance und dominiert als verschlagener Kecal, der schließlich seine Niederlage erkennen muss, diese auch sonst durch eine durchdachte Personenführung bestimmte Produktion.

Außenseiter statt Dummkopf

Dagegen fallen die übrigen Protagonisten etwas ab: Matthias Klinks bei der Premiere etwas indisponierter Hans, Caroline Melzers vor allem in der Höhe angestrengte Marie, Boris Eders outrierter, mit unterschiedlich zielsicheren aktuellen Anspielungen aufwartender Wandertruppendirektor. Untadelig Jeffrey Treganza als nicht, wie meist, zum Dummkopf gestempelter, sondern als Außenseiter gezeigter Wenzel.

Rollendeckend die übrigen Darsteller, die stets auf die umsichtige Assistenz des musikantisch aufspielenden Orchesters unter Enrico Dovico zählen konnten. Der unterschiedlich präzisen, bedingt zum Sujet passenden Einlagen des Wiener Staatsballetts hätte es nicht bedurft.

Weitere Termine

Le Comte Ory

23., 25., 27. Februar

Die verkaufte Braut

22., 24., 27. Februar, 3., 10., 13., 18. März

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