Rotes Tuch für Fundamentalisten aller Art

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M oderne Popmusik war und ist ein rotes Tuch für religiöse Fundamentalisten aller Art. Nun bekam der aktuell größte Popstar des Planeten den Ungeist militanter Islamisten zu spüren. Trotz 50.000 verkaufter Karten wurde das Konzert von Lady Gaga in der indonesischen Hauptstadt Jakarta abgesagt. Die "Islamische Verteidigerfront“, deren Schläger unter der Flagge von Moral und Anstand immer wieder mit Gewalt gegen Bars und Popkonzerte vorgehen, bejubelte die Absage als "Sieg Allahs“. Die Fanatiker werfen Lady Gaga Gotteslästerung und Teufelsanbetung vor und verdammen den Einsatz der Sängerin für die Rechte von Homosexuellen. Ihre Texte und ihre Auftritte seien "pornografisch“ und mit der indonesischen Kultur nicht vereinbar. Schon vor ihren Shows in Südkorea und den Philippinen hatten strenggläubige Christen mit ähnlichen Anwürfen gegen die Auftritte Lady Gagas demonstriert - doch die Konzerte in Seoul und Manila fanden trotzdem statt.

Sicher: Lady Gaga tritt mitunter spärlich bekleidet auf, vollzieht laszive Bewegungen, wirft sich in eindeutige Posen, singt über Sex - aber das ist im heutigen Pop-Business alles gang und gäbe. Dennoch ist Lady Gaga mehr als ein ganz normaler Popstar - nicht nur, weil sie weltweit 87 Millionen Tonträger verkauft und fünf Grammy Awards gewonnen hat. Lady Gaga ist eine perfekt inszenierte Kunstfigur. Für ihre schrillen Outfits ist die Bezeichnung extravagant eine Untertreibung. Egal, ob sie im feuersprühenden Bustier oder einem hautengen Kleid aus frischem Rindfleisch in Erscheinung tritt (damals protestierten die Tierschutz-Fundamentalisten) - jede Provokation ist Kalkül, jeder skandalträchtige Auftritt wohlkalkuliert.

Dabei ist der Mastermind hinter Lady Gaga keine Marketingabteilung der Tonträgerindustrie, sondern sie selbst. Kein Wunder, dass Kulturwissenschaftler bereits stapelweise Aufsätze über das Phänomen geschrieben haben, ähnlich wie seinerzeit über Madonna, die neben Freddie Mercury, David Bowie und Grace Jones zu Lady Gagas Vorbildern zählt.

Wer glaubt, er habe es mit einem dummen Pop-Püppchen zu tun, liegt jedenfalls gewaltig daneben. Bei ihrer Musik handelt es sich zwar um hitparadenkonformen Dance-Elektropop in trashigem Synthesizer-Sound, mit dem ein anspruchsvoller Pop-Hörer beim besten Willen nichts anfangen kann. Doch manchmal interpretiert sie ihre Hits ganz alleine am Klavier - und dann offenbart sich ihr Riesentalent in Sachen Songwriting, Klavierspiel und Gesang. Lady Gaga verehrt nach eigenen Angaben Ludwig van Beethoven und Rainer Maria Rilke, sie trägt sogar eine Tätowierung mit einem Rilke-Zitat (auf Deutsch) am linken Oberarm.

Die 1986 als Stefanie Germanotta in New York geborene Künstlerin besuchte in ihrer Heimatstadt eine katholische Mädchenschule und studierte an einer angesehenen Kunsthochschule. In einer Arbeit über den Philosophen Michel de Montaigne kam die damals 18-Jährige zu dem Schluss: "Kunst entsteht, wenn die natürlichen und künstlichen Körper befreit werden.“ Von dieser Einsicht ist es nicht mehr weit zu der schrillen Kunstfigur Lady Gaga, in die sich Germanotta nach Abbruch ihres Studiums verwandelte. Mit ihrem Debütalbum "The Fame“ (2008) gelang ihr auf Anhieb der internationale Durchbruch. Mit ihrem zweiten Album "Born This Way“, auf dem sich ein Song über Judas Ischariot findet, konnte sie im Vorjahr nahtlos an den Erfolg anschließen.

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