Der Rücktritt des Papstes verdient Respekt, nicht nur als persönliche Gewissensentscheidung, sondern auch, weil Benedikt XVI. künftigen Päpsten als Vorbild dienen könnte. Gewiss ist das Papstamt keine Führungsposition wie jede andere, weil Beruf und Berufung, Amt und Person eng miteinander verwoben sind. Doch Benedikts Gründe wiegen schwer: Er habe nicht mehr die körperlichen und geistigen Kräfte, die man seiner Überzeugung nach braucht, um heutzutage die katholische Weltkirche leiten zu können. Diese für ihn zweifellos schmerzliche Einsicht führt ihn dazu, das Amt über die Person zu stellen. Vor dieser Entscheidung könnten aufgrund der steigenden Lebenserwartung künftig noch öfters Päpste stehen.
Aus evangelischer Sicht verdient der mutige Schritt des Papstes nicht nur Anerkennung, sondern auch Sympathie, ist doch die Unterscheidung zwischen Amt und Person für das evangelische Verständnis des ordinierten Amtes von grundlegender Bedeutung. Aus gutem Grund werden kirchenleitende Ämter in den evangelischen Kirchen auf Zeit besetzt.
Eine bemerkenswerte Entscheidung
Mit seiner Entscheidung hebt sich Benedikt wohltuend von seinem Vorgänger Johannes Paul II. ab. Dessen öffentlich inszeniertes Sterben hat die Unterscheidung von Amt und Person derart verwischt, dass sein Leiden geradezu christologisch überhöht wurde. Kein Wunder, dass nach seinem Tod der Ruf nach sofortiger Heiligsprechung laut wurde. Nach katholischem Verständnis ist der Bischof von Rom nicht nur der Nachfolger Petri, sondern sogar der Stellvertreter Christi auf Erden. Werden aber das Bild Christi und dasjenige eines Papstes derart übereinander geschoben, wie es am Ende seines Lebens bei Johannes Paul II. der Fall war, ist das theologisch höchst bedenklich.
Mit deutlicher Anspielung auf Johannes Paul II. hat Papst Benedikt XVI. vor den versammelten Kardinälen erklärt, ihm sei nur zu bewusst, dass der Petrusdienst "wegen seines geistlichen Wesens nicht nur durch Taten und Worte ausgeübt werden darf, sondern nicht weniger durch Leiden und durch Gebet“. Aber die Herausforderungen, vor denen die katholische Kirche in der Welt von heute stehe, verlangten eine körperliche und geistige Leis-tungsfähigkeit, zu der er sich nicht mehr in der Lage sehe. Offenbar wäre es nicht in Benedikts Sinn, wenn das Beispiel Johannes Pauls II. weiter Schule machte. Prompt fällt dem Erzbischof von Krakau, Kardinal Stanislaw Dziwisz nichts Besseres ein, als Benedikt Fahnenflucht vorzuwerfen und sich zu der Bemerkung zu versteigen: "Papst Johannes Paul II. hat sich entschieden zu bleiben. Vom Kreuz steigt man nicht herab.“ Weder Karol Wojtyla noch Joseph Ratzinger dürfen mit dem gekreuzigten Christus verwechselt werden. Das ist blasphemisch. Einzig Christus ist für die Welt und ihre Sünden gestorben, niemand sonst. Darum kann man auch als evangelischer Christ dem scheidenden Papst nur dankbar sein, dass er dem Beispiel seines Vorgängers in diesem Punkt nicht folgt.
Mit Benedikt XVI. tritt ein Theologe von Rang ab, dem auch protestantische Theologen und kirchenleitende Personen Anerkennung zollen. Ökumenisch hat sein Pontifikat jedoch aus evangelischer Sicht keine neuen Impulse gesetzt. Die Annährung an die orthodoxen Kirchen oder an die Pius-Brüder war dem Papst aus Bayern offenbar wichtiger als Fortschritte im Dialog mit den Kirchen der Reformation. Seine eigenwillige Sicht des Verhältnisses von Vernunft und Glaube, von Reformation und Aufklärung hat gezeigt, wie groß die innere Distanz Benedikts zur reformatorischen Theologie bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Benedikt hat das theologische Profil der römisch-katholischen Kirche geschärft, und zwar in konservativer Richtung. Auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 sollten sich die protestantischen Kirchen ermutigt fühlen, sich auf ihre eigenen Wurzeln und Stärken zu besinnen. Ihre ökumenischen Hoffnungen richten sich nicht auf die nächste Papstwahl, sondern auf die befreiende Kraft des Evangeliums.
Der Autor ist Prof. f. System. Theologie an der Ev.-Theol. Fakultät Wien
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