Rüstzeug für den Widerstand

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Intelligenz, politische Bildung, kritisches Denken, Empathie: Was schützt Menschen vor ideologischer Gleichschaltung? Und was hilft ihnen, aus totalitären Strukturen auszubrechen?

Frühherbst 1974: Wilfried Handl ist 20 Jahre alt, politisch links - und auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Eines Tages schwärmt ihm seine Freundin von einer Bewegung vor, die ihm endlich Antworten auf jene Fragen geben könnte, die er seit Jahren unablässig stellt. Wilfried Handl begleitet sie - und trifft auf eine Gruppe netter, aufgeschlossener Leute. Der Name der Gemeinschaft: Scientology.

"Wenn man auf eine totalitäre Bewegung stößt, dann ist das ja nicht an der Tür angeschrieben", meint Wilfried Handl heute über seinen Einstieg in die Sekte. 28 Jahre lang wird er ihr treu verbunden sein und Karriere machen - bis zum leitenden Direktor von Scientology Österreich. Erst im Jahr 2002 trifft er eine alte Jugendfreundin, die ihn ob seiner Ansichten kaum wiedererkennt. Die schmerzhafte Begegnung wird zum Anstoß, auszusteigen. Ohne dieses Korrektiv von außen hätte er diesen Schritt bis heute nicht geschafft, glaubt der 54-jährige dreifache Vater. "Da stehen ja Beziehungen auf dem Spiel."

Ob Sekte oder totalitär regierter Staat: Gegen den Strom zu schwimmen und auszusteigen, erfordert ein Übermaß an Kraft und Zivilcourage. Sich - wie die nonkonformistische Karo im Film "Die Welle" - allein gegen die eigenen, ideologisch verblendeten Klassenkameraden zu stellen, ist die denkbar schlimmste Variante. "Eine solche Position mit einer physisch anwesenden Mehrheit längere Zeit aufrechtzuerhalten, ist wahnsinnig belastend", erklärt die klinische Psychologin Rotraud Erhard aus Wien. "Schließlich kann man aus einer Schulklasse nicht austreten."

Was aber hat überhaupt dazu geführt, dass Karo - im Unterschied zu ihren Klassenkollegen - das manipulative Spiel durchschaute? Intelligenz allein ist es nicht, glaubt Wilfried Handl: "90 Prozent der Mitglieder von Scientology sind ja überdurchschnittlich intelligent." Auch die Vorstellung, durch mehr politische Bildung (vgl. nächste Seite) Jugendliche gegen die Anfälligkeit für autoritäre Systeme wappnen zu können, hält er für naiv. "Das einzige, was man tun kann, ist sie zu lehren, alles zu hinterfragen."

Noch pessimistischer als Handl zeigt sich Peter Vitouch, Medienpsychologe an der Universität Wien: "Uns allen kann es passieren, in eine solche Gleichschaltung hineinzugeraten", stellt er fest. Nicht nur Ron Jones' Experiment, auch jenes von Philip Zimbardo (vgl. Furche Nr. 9, S. 24) habe das gezeigt. Wenn jemand freilich bereits konkrete Informationen über einen solchen Gleichschaltungsprozess gesammelt habe, könne dies "wie eine Art Impfung" wirken. "Deshalb sind die Bücher und Filme über diese Experimente so wichtig", ist er überzeugt.

Auch Irene Dyk-Ploss, Professorin für Gesellschafts- und Sozialpolitik an der Johannes-Kepler-Universität Linz, hat in ihrer Arbeit mit jugendlichen Rechtsextremisten gerne Filme eingesetzt (siehe Interview). Noch lieber hat sie sich mit ihnen zur Gedenkstätte Schloss Hartheim aufgemacht. "Es ist wichtig, mit Emotionen zu arbeiten", erklärt sie. "Und es ist auch wichtig, die Jugendlichen bei den Planungen miteinzubeziehen. Man kann ihnen ja nicht Demokratie beibringen wollen - und ihnen gleichzeitig alles vor den Latz knallen."

Im Rahmen der Veranstaltungs-Trilogie "Lernen Sie Geschichte" (Evangelische Akademie Wien und Forum Zeit und Glaube) wird am Freitag, 14. März, um 16 Uhr in den Village Cinemas (Landstraßer Hauptstraße 2a, 1030 Wien) der Film "Die Welle" gezeigt. Anschließend Podiumsdiskussion mit Irene Dyk-Ploss, Rotraud Erhard und Martin Reisigl (Institut für Allgemeine Sprachwissenschaft, Universität Wien). Moderation: Doris Helmberger, Die Furche.

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