Rußige Angelegenheiten

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Zaghaft klopft es an der Wohnungstür, ein junger Mann begehrt freundlich lächelnd Einlaß, während sich in den Zügen des Wohnungsinhabers bereits erste Spuren von Verzweiflung erkennen lassen.

Zögernd wird geöffnet, mit halbherzig einladenden Gesten, die allein der Tatsache zu verdanken sind, daß der ungebetene Gast nicht einfach wieder weggeschickt werden kann. Das wäre gegen alle Regeln der Vernunft. Denn einerseits bekleidet der Eindringling eine nicht ganz unbedeutende Position, er ist berechtigt, fremden Grund und Parkettboden zu betreten, und andererseits erfüllt er eine für die Gesellschaft wichtige Aufgabe.

Außerdem trägt der Mieter Mitschuld an seinem eigenen Unglück. Die prekäre Situation wäre durch geschickte Investitionen zur rechten Zeit zu verhindern gewesen. Nur sind diese eben leider - wie so oft - aus verschiedenen Gründen unterblieben.

Der junge Mann dringt weiter in die Wohnung ein. Jetzt haben die beiden die Küche erreicht. Der Hausherr bleibt wie vom Donner gerührt auf der Schwelle stehen. Es ist, als hätte es über Nacht geschneit. Alles ist von einer hauchdünnen Schicht überzogen, unzählige winzige Pünkten haben einen Trauerschleier über Tassen und Teller gewoben. Sein Begleiter scheint jedoch nichts Ungewöhnliches bemerkt zu haben. Er hat bereits seelenruhig die Küche durchquert und das Wohnzimmer betreten. Die verheerenden Folgen, die dieser Besuch nach sich ziehen wird, beginnen in der Phantasie des Wohnungsinhabers konkrete Gestalt anzunehmen. In seinen Augen spiegelt sich bereits die nackte Angst.

Der ungebetene Gast schreitet zur Tat. Und das kann er nicht allein. Er ist nämlich einer jener Handwerker, die das zur Ausübung ihrer Tätigkeit nötige Werkzeug nicht bei sich zu tragen pflegen. Ein Kübel muß her und eine Mistschaufel, vielleicht sogar besser zwei oder drei. Einen Schöpflöffel trägt er selbst am Gürtel. Gottseidank, sonst hätte vielleicht das Familiensilber auch noch herhalten müssen.

Der nette junge Herr hat nun alles, was er benötigt und beginnt tollkühn, ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen im schwarzen Loch herumzustochern. Er ist alsbald in eine dichte Wolke gehüllt, doch das stört ihn nicht. Er kann sich ja in der Firma duschen und die schmutzige Arbeitsuniform mit seiner Zivilkleidung vertauschen, um sauber und adrett rechtzeitig zum Abendessen im trauten Heim zu erscheinen. Den Wohnungsinhaber nimmt er momentan nicht wahr, sonst hätte er beobachten können, wie sich auf dessen kreidebleichem Gesicht kleine schwarze Pünktchen wie seltsame Sommersprossen niederlassen.

Der erste Kübel ist schon voll mit Ruß, der Fußboden daneben auch. Aber das macht ja nichts, den kann man wieder putzen. Ja, man. Es ist aber wirklich unmöglich, unter diesen Umständen sauber zu arbeiten. Wie soll man denn auch mit einem Schöpflöffel und einer ausgeborgten Mistschaufel, die nicht einmal annähernd in das Kamintürl paßt, effizient einen Kamin ausräumen ...

Am Abend vor dem Einschlafen, wenn sich der erschöpfte Mieter die schmerzenden Glieder reibt und überlegt, wie schlimm der Putz-Muskelkater wohl werden wird, wird er sich endgültig für eine Gasetagenheizung entscheiden, die er sich nur leider im Moment nicht leisten kann, und außerdem wird er die Wissenschaft verfluchen, die es geschafft hat, Atombomben zu erfinden, aber keine Staubsauger für Kamine oder wenigstens "Rauchfangkehrermistschaufeln" .... Oder gibt es das alles vielleicht schon längst, und bequemt sich nur niemand, es auch zu verwenden?

Ist ja auch nicht der Mühe wert, die Wohnungsinhaber werden schon putzen. Und warum hat ein Rauchfangkehrer eigentlich nicht einmal seinen eigenen Kübel? Vielleicht weil er den jedesmal ausleeren gehen müßte, wenn er voll ist. Und das will er natürlich nicht. Verständlicherweise. Er wird ja dafür bezahlt, daß er den Ruß aus dem Kamin schafft und nicht aus der Wohnung. Letzteres hat selbstredend der Mieter zu besorgen.

Und kurz bevor der Kunde nach seinem wunderbaren Urlaubstag - Rauchfangkehrer kommen ja ausschließlich in der Arbeitszeit - in Tiefschlaf fällt, wagt er noch zu denken: Und warum sind Kamintürln eigentlich nicht im Keller?!

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