Russische Naturgewalt

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Graz 2003: Fulminantes Gastspiel des Mariinsky-Theaters St. Petersburg unter dem Stardirigenten Valery Gergiev.

Sankt Petersburg feiert sein 300-jähriges Bestehen. Graz ist 2003 europäische Kulturhauptstadt. Beide sind Partnerstädte. Für die Intendantin des Grazer Opernhauses, Karen Stone, Gründe genug, das renommierte Mariinsky-Theater in die steirische Metropole einzuladen. Die Idee erwies sich als goldrichtig, das zweiwöchige Gastspiel, unter dem programmatischen Überbau "Drei Jahrhunderte russischer Musik", erhält uneingeschränkten Zuspruch und Beifall des Publikums. Es lässt sich auch nicht durch die etwas verstaubt wirkenden, erzkonservativen Inszenierungen mit den bunten traditionellen Kostümen und den manchmal wackelnden, historisch-stilisierten Bühnenbildern stören.

Feuriger Tschaikowsky

Die in Scharen angereisten Opernfreunde wollen in erster Linie zwei Opern von Peter Iljitsch Tschaikowsky musikalisch hochwertig erleben. Und da kommen sie zweifellos auf ihre Rechnung. Valery Gergiev, Chef des Mariinsky-Theaters, der das Niveau des Ensembles und Orchesters zum führenden russischen Opernhaus und zu international anerkannter Qualität gesteigert hat, hat ein untrügliches Gespür für Tschaikowskys Musik. Mit unglaublicher Energie und ständig befeuernden Gesten lässt er dessen Spätwerk "Pique Dame" (1890) und die nur selten außerhalb von Russland aufgeführte Oper "Mazeppa"(1884), beide nach Vorlagen von Alexander Puschkin, mit unerträglicher Spannung und siedender Hitze, in prächtigen Farben im bestens disponierten Klangkörper sinnlich und strahlend aufleuchten. Nur manchmal lässt seine emotionale Eindringlichkeit und Lautstärke der Sentimentalität keine Chance. Aber offenbar auf die Klanggewalten geeicht, verfügen der ausgezeichnete Chor und fast alle Sänger über die entsprechende Durchschlagskraft. In der "Pique Dame" nimmt es Wladimir Galusin als höhensicherer Hermann mit jedem Fortissimoschlag des Orchesters auf. Irina Gordei ist eine blasse Lisa, schlank erklingt der Bass-Bariton von Wladimir Moros (Fürst Jeletzki). Wenig Charisma hat Irina Bogatschjowa als Gräfin. Nikolai Putilin singt einen üppigen Grafen Tomski. Begeistern kann Putilin mit seinem facettenreichen Prachtbariton auch als berührender Titelheld "Mazeppa". Ihm zur Seite vorzüglich und ausdrucksstark Tatiana Pawlowskaja als Tochter Maria, Michail Kit als Kotschubej und Marianna Tarassowa als Ljubow sowie Oleg Balaschow als höhensicherer Andrej.

Domenico Cimarosa war Hofkapellmeister bei der Zarin Katharina II., als er 1789 auch seine Oper "La Cleopatra" schrieb, die man jetzt aus den Archiven ausgegraben hat. Damit fand in Graz eine echte Premiere statt. Ein hübsches, musikalisch belangloses Werk, das ohne Höhepunkte dahinplätschert und eigentlich nur vom Trennungsschmerz der hier sehr blonden, puppenhaften Kleopatra (Olga Trifonowa - wunderbar koloraturensicher) und des Antonio (Jekaterina Sementschuk - schön phrasierend mit dunklem Mezzo) handelt. Auch Alexander Timtschenko und Lia Schewtsowa als Vertraute waren makellos. Frisch und lebendig musiziert das Orchester unter dem jungen engagierten Dirigenten Michail Agrest. Altmeister Jonathan Miller ironisiert das handlungsarme Werk, zeigt es als Lustspiel in geometrischen Dekorationselementen und füllt es mit einer Reihe von Gags und aktuellen Anspielungen.

Klangintensiver Strawinsky

Der gewollte Gegensatz konnte nicht größer sein, als nach der Pause Igor Strawinsky Opern-Oratorium erklingt. Hier erlebt man wieder Gergiev pur: wuchtige Naturgewalt, hitzige Leidenschaft, aber auch viele Farben, ohne die Feinheiten der Partitur vollends auszukosten. Die Sänger müssen gegen zudeckende Klangmassen ankämpfen, schlagen sich jedoch wacker. Hervorragend ist wieder Oleg Balaschow als intensiver König Ödipus und Fjodor Kusnetsow als profunder Seher Teresias. Mit etwas zu viel Vibrato ausgestattet Slata Bulitschewa als Iokaste. Klaus-Maria Brandauer als Sprecher ist ein zynischer, lässiger Kommentator und Beobachter. Miller ist hier bei der Regie nicht viel eingefallen. Er beschränkt sich in einem blauen Raum mit rostbraunen Flecken auf statische Arrangements.

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