Russlands Schätze im Sonderangebot

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Wie die Sowjetunion das kulturelle Erbe des Landes verschleuderte und einige findige Geschäftsleute dadurch zu Milliardären wurden.

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Wie die Sowjetunion das kulturelle Erbe des Landes verschleuderte und einige findige Geschäftsleute dadurch zu Milliardären wurden.

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Auch in der jungen Sowjetunion, die dem Kapitalismus weltweit den Kampf angesagt hatte, konnte ein tüchtiger Kapitalist Milliardär werden. Das viel bewunderte und auch verachtete Paradebeispiel heißt Armand Hammer, Sohn eines Arztes in der New Yorker Bronx, eines aus Odessa eingewanderten Juden. Armand Hammer, mit 21 Jahren Dr. med., hörte nach der Revolution vom Elend der Russen und reiste offenbar in der ehrlichen Absicht in das Land seiner Väter, als Arzt den Menschen zu helfen. Aber schnell entdeckte er, dass Hilfe auch anders möglich war: in großem Stil und nicht ohne eigenen Gewinn. Er brachte Lenin dazu, ihm Monopole auf den Abbau von Asbest und andere Export-Import-Geschäfte zu übertragen.

Zur Volksbildung fehlten vor allem Bleistifte. Noch während des Ersten Weltkrieges hatte Russland sie auf Umwegen aus dem feindlichen Deutschland bezogen. Jetzt baute Hammer (wie in allen Branchen ohne geringste Fachkenntnisse) eine sowjetische Bleistift-Fabrik auf. Mit Experten, die er der deutschen Firma Faber abgeworben hatte, produzierte er fast eine halbe Million Bleistifte pro Tag. Sein Büro bezog er (für zwölf Dollar Miete) im Haus des vertriebenen Hofjuweliers Faberge. Und schon bald hatte er entdeckt, was in der Sowjetunion billig zu haben und in Amerika gut zu vermarkten war: Kunst aller Art.

Die Revolutionäre hatten die Kirchen ausgeräumt, die kostbarsten Ikonen schon in großer Zahl zerlegt: in Edelsteine (nach der Größe geordnet) und Gold und Silber, das eingeschmolzen wurde. Dass die kompletten Ikonen viel besser in die gesuchten Devisen zu verwandeln waren, wollte der Hass der Bolschewiken nicht erkennen. Kaum höher bewerteten die "Neuen Menschen" die Kunst in den Adelsschlössern und in den Wohnungen der reichen Bourgeoisie, die schon vor 1914 nicht nur französische Impressionisten gekauft, sondern auch die junge russische Avantgarde gefördert hatte. Deren Bund mit den Kommunisten erwies sich als wenig haltbar, und bald wurde so manches moderne Bild, das im Ausland gute Preise erzielt hätte, als "formalistisch" entlarvt.

Was nicht in den Depots der Museen verschwand, war nun für findige Kenner billig zu haben. Hammer war kein ausgesprochener Kunstsammler, der sich an erlesenen Gemälden und Skulpturen erfreuen konnte. Er war ein Kunst-Jäger, der seine Beute waggonweise nach Amerika transportierte. Da er um 1930 in die große Wirtschafts-Depression geriet, verscherbelte er kirchliches Kultgerät, edles Porzellan und "antike" Möbel in Warenhäusern.

Er hatte in den sowjetischen Jagdgründen einige Konkurrenten, die vielleicht mit mehr Kennerschaft, aber ebenso preisbewusst kauften. Die Sowjetmacht brauchte Devisen gegen den Hunger und für die Rüstung. Beide Seiten waren auf diskrete Abwicklung der Geschäfte bedacht. Einer der größten Beutemacher war der armenische Ölmilliardär Calouste Gulbenkian, der immerhin sein zeitweiliges Gastland Portugal mit einem Museum beschenkte, das heute vielleicht das gewichtigste des Landes ist. Man kann ihm jedenfalls dankbar sein, denn wer weiß, was aus den erlesenen Kunstwerken aus russischem Besitz geworden wäre, wenn er sie nicht diskret sichergestellt hätte. Aber auch große amerikanische Museen verfügen über Prachtstücke, deren Provenienz-Spuren nach Moskau oder St. Petersburg führen. Man hat darüber bisher kaum gesprochen.

Ahnungslosigkeit So wie man ja auch die Beutekunst aus ehemals deutschem Besitz durch ein halbes Jahrhundert geleugnet hat. Nun ist aber in Moskau eine Dokumentation erschienen, die erstmals einen seriösen Einblick in die ganze Problematik gibt: "Verkaufte Schätze Russlands" von Natalja Semjonowa und Nikolas Ilin: ein Buch, das der russische Kulturminister ganz offiziell der Öffentlichkeit präsentiert hat.

Zwar hatte schon Zar Nikolai I. Mitte des 19. Jahrhunderts über tausend Bilder aus der Eremitage versteigern lassen, aber die Sowjetmacht ging da viel gründlicher vor. Offenbar trafen kunsthistorische und wirtschaftliche Ahnungslosigkeit zusammen mit ideologischer Verblendung. Man war fest überzeugt von der bevorstehenden Weltrevolution. Da würde man sich die als wertvoll anerkannten Kunstwerke ohnehin von den Kapitalisten zurückholen. Aber es gab keine Übereinkunft, was wertvoll sei. Anfangs propagierten die Avantgarde-Künstler im Verein mit den Revolutionären die Befreiung von überkommenem Kulturmüll. Aber als der politischen Führung bewusst wurde, dass die Arbeiter und Bauern weder in Häusern von Tatlin wohnen, noch die Wände mit Malewitsch-Bildern schmücken wollten, blieb - um die Massen zu erreichen - nur der Weg des "Sozialistischen Realismus".

Da war Wertvollstes schon verschleudert: Vom Diamanten-Schatz des Moskauer Kremls hatten 230 der 770 Schmückstücke das Land verlassen. An den Faberge-Eiern der Romanows erfreute sich das britische Königshaus. Die Büchersammlung des Zaren Nikolai II. ist nun in der amerikanischen Kongress-Bibliothek, und die New Yorker Public Library beerbte mit 2.200 Bänden einen Großfürsten. Heute wird in St. Petersburg unbefangen darüber gesprochen, dass bis in die Gorbatschow-Zeit immer wieder Beamte des KGB in der Eremitage erschienen, um Kunstwerke zum Devisen-Erwerb anzufordern. So ist es erstaunlich, dass die Kunstsammlung im ehemaligen Zarenpalast immer noch nur einen kleinen Teil ihrer Bestände ausstellen kann und eine Filiale in London eröffnen will.

Jetzt darf man gespannt sein auf ähnliche Publikationen über die diskreten Kunst-Verkäufe etwa in der ehemaligen DDR oder in der CSSR, über die es bisher nur (allerdings sehr glaubhaft klingende) Gerüchte gibt. Aus dieser Sicht bekommt die Beutekunst-Debatte ein leicht verändertes Aussehen.

50 Jahre Schweigen Unbestreitbar hat der deutsche Angriff auf Polen, die Sowjetunion und andere Länder große Zerstörungen auch im Kulturbereich angerichtet. Wo es aber um Kunstraub geht, hat man von deutscher Seite jede Spur verfolgt und sich um Rückgabe bemüht. Unterdessen haben Polen und die Sowjetunion rund 50 Jahre lang geschwiegen und geleugnet. Polen hat ausgelagerten deutschen Besitz behalten, und niemand erwähnt, dass in Städten wie Stettin, Danzig oder Breslau ganze Museen (soweit nicht zerstört) übernommen wurden. Es wird auch wenig davon gesprochen, dass Ungarn bis heute ähnliche Probleme hat wie Deutschland. Hier kann aber von Ersatz für Kunstraub kaum gesprochen werden. Denn die Soldaten der 2. ungarischen Armee, die auf deutscher Seite am Don kämpfte und weitgehend aufgerieben wurde, hatten wohl kaum Gelegenheit, größere Mengen von Kunstwerken abzuschleppen.

Heute, da die russische Duma sich entschlossen hat, Beute-Kunst im Regelfall nicht an Deutschland zurückzugeben, kommt es vor allem darauf an, zu dokumentieren, was in russischen Museen tatsächlich festgehalten wird. Damit nicht auch von diesen Beständen mancherlei auf Nimmerwiedersehen in amerikanischen Privatsammlungen verschwindet.

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