Sämann der Unruhe

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Der einst Spaniens Linken wie Rechten unbequeme Miguel de Unamuno findet wieder die gebührende Beachtung: Nun ist auch "Selbstgespräche und Konversation" wieder zu haben. asdasd

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Der einst Spaniens Linken wie Rechten unbequeme Miguel de Unamuno findet wieder die gebührende Beachtung: Nun ist auch "Selbstgespräche und Konversation" wieder zu haben. asdasd

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Ich bin kein Gelehrter, kein Weiser, und die Originalität meiner Ideen ist nicht groß. Woher rührt dann die Wirkung, die ich Gott sei Dank erzielt habe? Woher diese Antipathien und diese Sympathien und daß ich, ebenfalls Gott sei Dank, sagen kann, daß ich von meinen Lesern fast nie mit Gleichgültigkeit bedacht werde? Nun, dies rührt von der Leidenschaft, vom Tonfall."

Könnte man sich solche Gedanken von einem deutschen Universitätsprofessor für Griechisch vorstellen? Kaum. Von dem Spanier Miguel de Unamuno, Rektor der traditionsreichsten spanischen Universität, jener von Salamanca, überzeugen sie. Denn er war eben nicht nur ein großer Gelehrter und Philosoph, sondern auch ein - leidenschaftlicher - Schriftsteller. Der 1936 in den ersten Tagen des Spanischen Bürgerkriegs Verstorbene, dessen erste Lebenshälfte noch ins 19. Jahrhundert fiel, wurde in den zwanziger Jahren eifrig ins Deutsche übersetzt. Dann wurde es recht still um ihn.

Großes Aufsehen erregte vor einiger Zeit die Neuauflage seines lange vergriffenen Romans "Nebel" auf deutsch. Kaum weniger spektakulär ist jetzt die vom Grazer Droschl-Verlag initiierte Erstübersetzung von Essays. Die Grazer Romanistin Erna Pfeiffer hat soeben (nach "Plädoyer des Müßiggangs", 1996) einen Band "Selbstgespräche und Konversation" übersetzt: So klar, so elegant, so quirlig, daß uns die Persönlichkeit des unangepaßten, höchst originellen Mannes lebendig entgegentritt. Wer wenig über Spanien weiß, sei versichert: Die Übersetzerin räumt mit sympathischen Fußnoten (so etwas gibt es!) Verständnisschwierigkeiten aus dem Weg, indem sie Namen, politische Zusammenhänge und Anspielungen auf die spanische Geschichte erklärt.

Unamuno legte sich mit den Rechten wie mit den Linken an. Sein Hohn und Spott galten der Mittelmäßigkeit, der Angepaßtheit, dogmatischem Denken, Freunderlwirtschaft. Was er am Spanien des frühen 20. Jahrhunderts geißelte, ist heute aktueller denn je (doch beileibe nicht nur hinter den Pyrenäen). Dabei öffnet sich hinter allem, was Unamuno zu seiner Zeit, zur Technikgläubigkeit, zu den Naturwissenschaften, zur Politik sagt, der weite Horizont seines tragischen Lebensgefühls.

Spricht er über die schrecklichen Auswirkungen "gemäßigter Intelligenzen" im zeitgenössischen Spanien, folgt sofort ein Satz wie dieser: "Und ist jenes traurige und tragische Lächeln, jenes abgründige Lächeln von so bitterer Süße, in das Cervantes sein Spanien tauchte, etwa nicht in einem Zusammenprall mit dem wohlmeinenden Mittelmaß entsprungen?"

Unamuno dachte viel über das Schreiben nach. Wo und wann schreibt der Mensch am lebendigsten? In Briefen, unverstellt, von Herz zu Herz. Er würde sich wohl nicht sehr über die Blutleere wundern, die heute in so vielen literarischen Werken herrscht, denn was Unamuno das Unmittelbarste schien, ist jetzt verschwunden: der Brief. E-mail ist kein Ersatz.

1907, als noch niemand etwas von feministischer Linguistik ahnte, schrieb er in einem Brief an eine Frau, die Schriftstellerin werden wollte: Wenn Frauen es schaffen, nicht in der "Hosensprache" der Männer zu schreiben, könnte etwas ganz Neues entstehen. Heute scheint man den Blick verloren zu haben für das Reizvolle des Unterschieds zwischen den Geschlechtern: "Ich werde mich nicht darauf einlassen, zu erläutern, ob nun der Intellekt der Frau dem des Mannes gleich-, höher- oder minderwertig ist; es genügt mir, daß er verschieden von ihm ist, und vor allem kann und darf man die Gleichheit, Überlegenheit oder Unterlegenheit zweier Wesen niemals einzig und allein im Intellekt suchen."

Der geistvolle spanische Baske konnte in sich selbst die Spannung, den Streit zwischen Intellekt und Gefühl, Vernunft und Glauben, Analyse und Synthese, Phantasie und Verstand, Ruhmsucht und Introversion erkennen: "Der Tag wird kommen, an dem man einbekennen wird müssen, daß nur einem Mangel an kritischer Einschätzung der Gedanke entspringen kann, mich für einen Ideologen oder Gelehrten zu halten."

Dieser Sämann der Unruhe, der lieber in die Einöde der Kanaren-Insel Fuerteventura in Verbannung ging, als sich einem Regime zu beugen, sah seine Rolle so: "Ich war immer bestrebt, aufzurütteln und allerhöchstens anzudeuten, mehr denn zu belehren. Wenn ich Brot verkaufe, so ist es nicht Brot, sondern Hefe oder Sauerteig." Von niemandem ließ er sich den Takt seines Lebens angeben, und er hat bei allen daraus entstehenden Schwierigkeiten nie die Lebensfreude verloren. Acht Kinder zeugte er, und das Lieblingslied dieses hochgebildeten, mehrsprachigen Mannes lautete doch: "Jedes Mal, wenn ich dran denke, daß ich einst sterben muß, breit' auf dem Boden ich die Decke und schlaf mich richtig aus."

Selbstgespräche und Konversation Von Miguel de Unamuno. Verlag Droschl, Graz 1997, 256 Seiten, brosch., öS 250,

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