Salzburg immer und überall

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Ein hochkarätig besetztes Symposion in Salzburg befasste sich mit der Zukunft der Festspiele | in der Mozartstadt. Wie immer ging es letztlich um die Frage von Tradition und Innovation.

Darf man "Zauberflöte“, "Bohème“, "Carmen“ in Salzburg spielen? Was für eine Frage! Indes - eben daran arbeiten sich etliche selbst ernannte kritische Geister ab, seit bekannt geworden ist, dass diese drei Meisterwerke neben anderen bei den Salzburger Festspielen 2012 gezeigt werden. Die Trias gilt den Skeptikern als Inbegriff von Einfalls- und Ideenlosigkeit - und als übles Vorzeichen der neuen Intendanz von Alexander Pereira, der freilich für das diesjährige Programm nur bedingt verantwortlich zeichnet.

Der Wechsel an der Spitze der Festspiele mag dennoch ein guter Anlass für eine Standortbestimmung gewesen sein: "Festspiele der Zukunft. Die Salzburger Festspiele und ihre Bedeutung für die europäischen Festspielkulturen“ - unter diesem etwas breitspurigen Titel lud Michael Fischer, Professor und Leiter des Programmbereichs Arts & Festival Culture an der Universität Salzburg, letzte Woche renommierte Kulturmanager, Theoretiker, Medienleute in die Universitätsbibliothek gegenüber dem Festspielhaus. Was man jedenfalls merkte: Das deutsche Föjtong (Feuilleton) ist Pereira nicht eben wohlgesonnen - und dieser selbst bisweilen so dünnhäutig wie manche Kritiker (Eleonore Büning von der FAZ). Aber der Austausch von Eitel- oder zumindest Befindlichkeiten gehört eben auch zur Struktur so komplexer Gefüge wie es große, traditionsreiche Festivals, Salzburg zuvörderst, nun einmal sind.

"Hier gilt’s der Kunst“

Sie sollten nur - ein frommer Wunsch - das große Ganze nicht überlagern: "Hier gilt’s der Kunst“, wie Wagners Evchen, wiewohl ein wenig augenzwinkernd, sagt. Frei nach diesem Motto ließe sich die eingangs gestellte Frage gleichermaßen pragmatisch und richtig beantworten, wie dies Heinz Sichrovsky beim Symposion formulierte: Wenn die Qualität stimme, man die besten Künstler zur Hand habe, stelle sich die Frage nicht. Als Beispiel führte er den legendären "Troubadour“ - ebenfalls kein zwingendes Salzburg-Stück - unter Karajan mit Leontyne Price, Simionato, Corelli, Bastianini von 1962 an. Wer hätte da fragen mögen, ob man das in Salzburg spielen soll/darf? Eben. Und um zu erklären, warum man die "Zauberflöte“ an der Salzach spielt, braucht man nicht einmal die von Pereira vorgebrachte "Rechtfertigung“, dass Nikolaus Harnoncourt dieses Werk erstmals mit Originalklang-Instrumenten erarbeiten werde.

Karajan, jawohl - er ist nach wie vor Projektionsfigur für alle Seiten, sei es als Ikone oder Reibebaum einschließlich aller nur denkbaren Zwischenstufen. Gleiches lässt sich von der zweiten dominierenden und dominanten Gestalt der jüngeren Festspielgeschichte sagen: Gerard Mortier. Beide schwebten gewissermaßen über dem Symposion, Letzterer war auch leibhaftig da, eingeladen von den "Freunden der Salzburger Festspiele“ zu einem Festvortrag ins Haus für Mozart - unter dem (vielleicht etwas breitspurigen) Titel "Die Bedeutung der Kunst für eine neue Vision Europas“. Es war, wie nicht anders zu erwarten, ein großer kulturhistorischer Bogen, klug, kenntnisreich und prägnant, gespickt mit Pointen und Bosheiten. In einer an Shakespeares Antonius gemahnenden rhetorisch-dialektischen Volte setzte er sich ins rechte historische Licht als Bewahrer und Erneuerer des Hof-mannsthal’schen Gründungsgedankens - "und Pereira ist ein ehrenwerter Mann“ (nein, das sagte er so natürlich nicht …). Dass Mortier Hugo von Hofmannsthal so ausführlich - und zumindest aufs Erste im positiven Sinne - bemühte, überraschte indes nicht nur Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler. In der ihr eigenen unverblümten Art merkte sie an, früher hätte man ja gelegentlich meinen können, Mortier halte Hofmannsthal "für einen Nazi“.

Abarbeiten am "Jedermann“

Unter der NS-Chiffre - auch wenn man das Wort selbst nicht unbedingt gebraucht - firmierte für Mortier und Seinesgleichen stets auch das (Barock-)Katholische an Salzburg und seinen Festspielen, als dessen Inbegriff der "Jedermann“ gilt. Folgerichtig plädierte Mortier, nachdem es ihm in seiner Intendanz nicht gelungen war, das Stück zu canceln, dafür es nun völlig neu zu schreiben. Vermutlich schwebt ihm eine Art globalisierungs- und kapitalismuskritisches "Occupy“-Happening, selbstverständlich jedweder transzendenten Dimension entkleidet, vor.

Genau diese Dimension strich der Berliner Philosoph Volker Gerhardt heraus: Man könne "nicht Jahr um Jahr den ‚Jedermann‘ spielen …, um vom Göttlichen zu schweigen“. Gerhardt sprach unter Bezugnahme auf die Antike von Festspielen als "Zeiten der Ausnahme“ und vom "Aufstieg zu dem, was für die Alten ebenso wie für Hofmannsthal und Reinhardt (Max, Mitbegründer der Festspiele; Anm.) wichtig war, nämlich zum Guten, Wahren und Einen“. Gerhardt ist übrigens evangelisch und Mitglied der Grundwerte-Kommission der SPD.

Salzburg als "moralischer Akteur“

Das kommt nahe an jenen Spruch heran, der die Front des Großen Festspielhauses ziert: "Sacra camenae domus / concitis carmine patet / quo nos attonitos / numen ad auras ferat“ (Der Muse heiliges Haus steht offen den vom Liede Begeisterten; durch dieses führe uns Entflammte die Gottheit empor in den Himmel.“ Der Vers (1960) stammt vom deutsch-österreichischen Benediktinerpater Thomas Michels (1892-1979), Mitbegründer der Salzburger Hochschulwochen, der vor den Nazis in die USA floh. In diese Perspektive von Salzburg fügt sich auch ein Gedanke von Clemens Hellsberg, dem Vorstand der Wiener Philharmoniker, der von Kulturinstitutionen als "moralischen Akteuren“ sprach, wobei man sich immer bewusst sein müsse, wie "dünn die Decke der Zivilisation“ sei. Das einzig Entscheidende für die Zukunft der Festspiele aber sei das "Eigengewicht“, also der Gehalt und die Botschaft, der Stücke selbst.

Der Medien- und Marketingmann Hans Mahr würde sich darauf wohl nicht verlassen wollen. Er plädierte für ein "Salzburg 3.0“: Die Festspiele als globale Marke, unter deren Label das ganze Jahr über und weltweit Veranstaltungen (nicht nur Musik und Theater, auch Kongresse, Debatten etc.) stattfinden sollten. Salzburg - semper et ubique, immer und überall, also.

Vielleicht im Ansatz gar keine schlechte Idee. Letztlich wird aber auch das nur auf dem Eigentlichen aufbauen können, auf dem kulturellen Erbe von Mozart, Strauss und Co. Die entscheidende Frage ist: Was müssen wir tun, damit auch morgen noch die musikalische und geistige Sprache von "Zauberflöte“, "Bohème“, "Carmen“ und was immer man gerade spielen mag, verstanden und empfunden werden kann?

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