Bernhard - © Foto: Monozigote

Thomas Bernhard: Salzburg wartet auf ein Theaterstück

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Thomas Bernhard über das Salzburger Landestheater.

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Thomas Bernhard über das Salzburger Landestheater.

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Wir warten. Wir warten noch immer darauf, daß das Salzburger Landestheater endlich einmal ein Theaterstück herausbringt, das in den Kulturspalten diskutabel ist. Seit zwei Jahren warten wir auf das entsprechende Stück und auf die entsprechende Inszenierung, und das Unbehagen wird mit jedem Theatersemester größer. Bald wird auch der letzte Hoffnungsschimmer geschwunden sein und die Bretter rechts der Salzach, die Bretter dieses einzigartigen österreichischen Kammertheaters, werden nur noch ein Rummelplatz des Dilettantismus sein.

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Eine Operette jagt die andere, eine Geschmacklosigkeit übertrifft die andere. Ja, bei allem Verständnis, was ist denn Theater? Besteht es denn nur noch aus billigem, ausgeleiertem Amüsement? Wenn ja, dann soll man es morgen schon zusperren! Aber, so fragt man sich deutlich, kann es sich eine Stadt wie Salzburg, die jeden Sommer zu einem europäischen Musik- und Theaterzentrum ersten Ranges wird, leisten, ein landessubventioniertes Haus zu besitzen, das die restlichen zehn Monate auf das Niveau einer Bauernbühne herabsinkt? Hält man denn die Einwohner dieser, wenn auch nicht immer kulturfreundlichen, so doch durchaus nicht kulturfeindlichen Stadt, wirklich für so dumm, daß man sich ihnen Jahr und Tag nichts als sauer gewordene Schlagobersmärchen vorzusetzen getraut? Anscheinend ist man sich in der Schwarzstraße vor allem darüber nicht im klaren, daß es auch heute lebendiges Theater gibt, daß seit Hebbel und Ludwig Thoma wiederum eine Anzahl bemerkenswerter Stücke für die Bühne – und auch für diese Bühne, und sogar von österreichischen Autoren! – geschrieben worden sind. Wir erkennen die Nöte der Autoren, wir verstehen die Rücksichtnahme auf jedes Landabonnement; nicht verstehen können wir, weshalb seit Bernanos' großartiger Begnadeter Angst (vor drei Jahren), den zwar mißglückten, aber immerhin mutigen Versuchen mit Felix Braun und Georg Rendl, kein Stück mehr auf diese Bühne gebracht werden konnte, das, wenn schon nicht restlos, so doch einigermaßen befriedigen konnte. Ganz zu schweigen von den Klassikern, mit denen man den hiesigen Mittelschülern zum Preise von drei Schilling wirklich gründlich den Magen verdirbt. Dieses Haus krankt an chronischer Phantasielosigkeit und an einem unnachahmlichen Mißmut. Angst oder Bequemlichkeit, ist hier die Frage! (Man vergleiche nur den Spielplan mit dem der anderen Landeshauptstädte!) Es ist, als fehlte – von oben herunter – jede Art von „Bewußtsein“, ganz zu schweigen von der Begeisterung. Und, wir meinen das wohl- und nicht übelwollend, die Bühne, auch wenn sie verländlicht ist, ist nun einmal keine Versicherungsanstalt. Jeder weiß hierzulande: die guten Schauspieler, deren es einige gibt, gehen spazieren, während die schlechten – schlechter als schlecht – Operette singen; und das Theater ist an vielen Abenden leer. Nichts gegen Operetten, aber Dinge, wie sie in der jetzt pausenlos laufenden Lockeren Odette (einem Machtwerk übelster Sorte) vorgehen, sollten denn doch nicht passieren. Als letzte Medizin sei empfohlen: ein Lexikon der Theaterliteratur, darin Namen stehen wie Williams, Faulkner, Eliot, Miller, Andres und alle die österreichischen Dichter, deren Werke jenseits der Grenzen wesentlich wurden. – Man suche Auseinandersetzung! Es ist nicht wahr, daß sich Salzburg nur aus dem Bräustübl nährt!

Man hat hier vor Jahren der Oper, für welche größtes Interesse besteht, aus unbegreiflichen Gründen das Genick gebrochen; jetzt tat man es auch mit dem Schauspiel. Vor zwei Jahren wurde ein interessantes Stück der neueren Literatur angekündigt. Wir warten noch immer darauf ...

Ungehindert davon spielt das Schauspielseminar der Akademie Mozarteum, das Rudolf E. Leisner mit viel Geschick und Verantwortung leitet, seit Jahren schon die interessantesten Avantgardisten. Die betrogenen Salzburger ziehen ins Studio Sankt Peter. Erinnern wir uns der ausgezeichneten Inszenierung von Graham Greenes Der letzte Raum und Christopher Frys Ein Phönix zuviel sowie der gelungenen Aufführung des Fodor-Stückes Gericht bei Nacht aus dem letzten Jahr. Mit Thornton Wilders Die kleine Stadt eröffnete das Studio seine heurige Spielzeit.

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