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Szenische Antwort der Festspiele auf die Musik von Giacinto Scelsi.

Er war alles eher denn ein Sauser, dieser zarte, schräge, einzigartige Scelsi. Salzburgs neuer Konzertchef Markus Hinterhäuser hat uns als Pianist Giacinto Scelsi längst nahe gebracht. Jetzt widmete er dem italienischen Komponisten (1905-1988) einen Schwerpunkt im Salzburger Konzertprogramm. Zum Abschluss des Kontinent Scelsi-Projektes gab es auf der Perner-Insel in Hallein unter dem Titel Sauser aus Italien. Eine Urheberei die Premiere von Christoph Marthalers assoziativer Annäherung.

"Wenn man einen Ton sehr lange spielt, wird er groß. Er wird so groß, dass man viel mehr Harmonien hört, und er wird innerlich größer. Der Ton hüllt einen ein." Scelsi "heilte" sich mit Einzeltönen, die er lange verklingen ließ, von einer jahrelangen psychischen Krise und erweiterte später den Kosmos, den er im Ton entdeckte, auf geheimnisvolle, völlige unorthodoxe Weise.

Der finanziell unabhängige italienische Adelige schrieb in seiner Jugend in Paris Gedichte und philosophische Abhandlungen, lernte in Wien das Zwölftonsystem und ließ sich auf langen Reisen von afrikanischen und asiatischen - vor allem indischen - Mythen beeinflussen. Er sah sich nicht als Komponist, sondern als Guru, als Schwingungsempfänger und Medium.

Das alles und die Stilisierung seiner kleinen Person, die er nie ablichten ließ, floss ein in das Geheimnis Scelsi und die Musik. Dazu kamen Urheberrätsel, denn Scelsi zeichnete seine Improvisationen auf und ließ dann die Tonbänder in Notenschrift transkribieren. Einer dieser Gehilfen leugnete nach dem Tod Scelsis sogar die Existenz des Komponisten und schrieb sich selbst dessen Musikschaffen zu.

Wozu Scelsis Töne, seinen Klangkosmos visualisieren? Der Schweizer Musiker und Regisseur versucht es mit Bildern und agiert mit den Waffen des Komponisten. Er schuf keine Handlung, sondern Szenen, die ganz offenbar nach Improvisationsorgien gefestigt worden sind. Er sucht nicht nach Bedeutung, sondern den Zustand. Lässt knappe Texte sprechen, den Klängen nachspüren und die Darsteller Medien sein von Scelsis Befindlichkeit und Eigenschaften: Der beleibte Herr etwa erzählt von der Sonne, die erschafft.

Scelsi unterschieb mit der Zeichnung eines Kreises über einer Linie: "Es ist mein Symbol. Es kann als ein ZEN-Symbol interpretiert werden, oder als Sonne über dem Horizont …" Die Bezüge in dem pausenlosen Zweistundenstück sind zahlreicher, als auf den ersten Blick kenntlich. Es ist ein anregender, kluger Abend, doch letztlich gelingt es auch Marthaler ebenso wenig, wie Schuberts Winterreise jemals kongenial in Bilder gefasst werden kann, die Faszination der mitunter geradezu hypnotischen Scelsi-Musik auf gleicher Höhe zu beantworten.

Es gibt auch Nonsense und Slapstick, es wird geturnt und getanzt, man hört der Musik auch still zu. Zuletzt legt die Schwangere ihre Hand von der eigenen Rundung auf den Bauch des Beleibten (Scelsi?), der in Tränen ausbricht.

Niemand verrät, welches Zimmer, welchen kreativen Raum er bewohnt. "In einer Welt ohne Melancholie würde die Nachtigall anfangen zu rülpsen", sagt jemand. Die Darsteller entwickeln zeitgebundene Typen und zeitlose Muster: Olivia Grigolli, Katja Kolm, Sasha Rau, Bettina Stucky, Raphael Clamer, Josef Ostendorf, Lars Rudolph und Graham F. Valentine.

Das Scelsi-versierte Klangforum Wien ist szenisch voll eingebunden und musikalisch von Solo über Duette und Streichquartette bis zum Orchesterstück bei Scelsis "realer sphärischer Dimension des Klangs" großartig präsent.

Übrigens: Sauser heißt in der Schweiz der halbvergorene Traubenmost (der österreichische Sturm). Ein Gegenwort zu Scelsi, ein typischer Marthaler-Gag.

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